Alera 02 - Zeit der Rache
Ihr wisst.«
»Ja, Sir. Am Tag des Turniers im vergangenen Oktober traf sich London mit mir und Alera, um eine wichtige Angelegenheit zu besprechen. Er sagte uns, er habe in Bezug auf Narian Verdacht geschöpft und sei nach Cokyri gereist, um dort etwas über dessen Kindheit und Jugend zu erfahren.«
Mein Vater schien von dieser Neuigkeit schockiert, und selbst die Armeeangehörigen waren über Londons wagemutigen und gefährlichen Alleingang offenbar entsetzt. Daraus schloss ich, dass wohl niemand sonst es gewagt hätte, sich in die Festung des Feindes zu begeben.
»Dort«, fuhr Destari mit seiner tiefen, wohltönenden Stimme fort, »entdeckte er die Aufzeichnung einer uralten Legende, nämlich der Legende vom Blutenden Mond, die den Niedergang unseres Reiches prophezeit. Der Bericht wiederholt unseren eigenen Gründungsmythos, wonach unser erster König unser Territorium mit dem Blut seines geopferten kleinen Sohnes geweiht haben soll, um Hytanica dauerhaft vor Feinden zu schützen. Weiter heißt es dort jedoch, dass ein hytanischer Junge unter dem Zeichen des blutenden Mondes zur Welt käme, der mit dem Zeichen dieses Mondes versehen wäre und die Macht besäße, sein Heimatreich zu zerstören.
In den letzten Monaten des Krieges vor siebzehn Jahren stand allnächtlich ein blutroter Mond am Himmel, und die Cokyrier raubten alle neugeborenen Jungen, derer sie habhaft werden konnten. Sie alle wurden getötet. Bis auf einen, nämlich den Jungen, den wir unter dem Namen Narian kennen. Ich bin sicher, dass sich alle Anwesenden an sein ungewöhnliches halbmondförmiges Geburtsmal erinnern, denn nicht zuletzt daran wurde er ja als Sohn von Baron Koranis identifiziert. London glaubt, dass Narian derjenige ist, von dem die Legende erzählt. Und dass Narian vom Overlord mit dem Vorsatz ausgebildet wurde, Hytanica zu zerstören.«
Auf Destaris Bericht folgte ein langes Schweigen, und ich war froh, dass sich alle auf den König zu konzentrieren schienen, der lediglich mit gerunzelter Stirn auf diese Enthüllungen reagierte.
»Wann wurdet Ihr und König Adrik davon in Kenntnis gesetzt?«, fragte Steldor schließlich seinen Vater. Dass London, Destari und ich diese Informationen zunächst für uns behalten hatten, stand ohnehin außer Zweifel.
»Drei Monate später, an dem Tag, als Narian aus Hytanica verschwand«, erwiderte Cannan in sachlichem Ton, und ließ sich nicht anmerken, ob er diese lange Zeitspanne der Unwissenheit missbilligte. »Wir wollten ihn, gleich nachdem wir mit London gesprochen hatten, dazu befragen und mussten feststellen, dass der Junge geflohen war.«
Steldor warf mir einen leicht irritierten Blick zu, wandte sich mit seiner nächsten Frage jedoch an Destari. »Warum hat sich London Alera anvertraut?«
»Weil er nicht glaubte, dass der Hauptmann oder der König nach seiner Entlassung aus dem Dienst seinen Worten noch Glauben schenken würden. Außerdem wollte er sie davor warnen, sich mit dem jungen Mann anzufreunden.«
»Und? Hat sie diese Warnung befolgt?«, presste Steldor mit zornig verengtem Blick hervor. Ich befürchtete, dass er die Antwort darauf bereits kannte.
Destari zögerte einen Augenblick, weil er Steldors grimmiger Miene gewahr wurde, doch dann antwortete er unumwunden.
»Nein, Eure Majestät, das hat sie nicht.«
Ich wollte keinen der Männer in diesem Raum ansehen und konzentrierte mich ganz darauf, meine nervösen Hände ruhig zu halten, denn diese schlechte Angewohnheit hätte mein Unbehagen nur noch deutlicher gemacht. Meine Furcht wuchs sich zu einer regelrechten Panik aus. Ich konnte mich nicht erinnern, mir je verzweifelter gewünscht zu haben, einer prekären Situation zu entfliehen, doch der Hauptmann schien nicht gewillt, mir Aufschub zu gewähren.
»Es ist unerlässlich für uns, zu erfahren, wie es um Narians Loyalität steht. Alera, Ihr scheint ja mit ihm befreundet gewesen zu sein. Was könnt Ihr uns dazu sagen?«
Ich versuchte, mich ganz auf Cannan zu konzentrieren, während ich antwortete. Getrieben von dem Wunsch, diese Unterredung so rasch als möglich zu beenden, sagte ich ihm alles, was ich wusste, so schnell ich konnte, während ich die ganze Zeit über Steldors Blick schmerzlich auf mir fühlte.
»Er sprach selten über sein Leben in Cokyri, aber ich hatte immer den Eindruck, dass es sehr hart gewesen sein muss. Auf alle Fälle weiß ich, dass er nicht dorthin zurückkehren wollte. Einmal sagte er mir, wie sehr es ihm zuwider sei, wenn jemand ihm sein
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