Alera 02 - Zeit der Rache
Flucht?«
Ich machte den Mund auf, um zu antworten, doch dann fiel mir ein, dass London und Destari mich in jener Zeit von Narian ferngehalten hatten. Sie waren dahintergekommen, dass der junge Mann mich spätnachts aus dem Palast geschmuggelt hatte – obwohl Steldor mir damals bereits offiziell den Hof machte –, ohne Wissen und Erlaubnis meines Vaters und natürlich ohne Anstandsdame. Daraufhin hatten sie unseren unziemlichen Eskapaden ein Ende bereitet. Weil ich diese Details jedoch nicht preisgeben mochte, sah ich erneut unschlüssig in Richtung des Elitegardisten. Dabei bemerkte ich, dass unser Benehmen Cannan, der keinerlei Geduld für Spielchen besaß, zu verärgern begann.
»Die Umstände sind zu ernst, um Informationen zurückzuhalten«, warnte der Hauptmann Destari mit düsterer Miene. »Ihr werdet mir sagen, was Ihr wisst, ungeachtet Eures Wunsches, Alera zu decken.«
»Jawohl, Hauptmann«, lenkte Destari ein und zuckte kaum merklich, aber für mich sichtbar entschuldigend mit den Achseln. »In den zwei Wochen bis zu seinem Verschwinden haben London und ich ihren Kontakt zu Narian unterbunden. Wir hielten es für das Beste, wenn sie ihre Beziehung zu ihm beendet. Als sie aus eigener Kraft nicht dazu in der Lage schien, nahmen wir die Sache in die Hand.«
»Dann beruht unsere Hoffnung, dass Narian nicht nach Cokyri zurückkehrt, also auf seiner Beziehung zu Alera«, brachte Cannan das Ganze auf den Punkt. Seine nächste Frage stellte er an mich. »Gibt es irgendetwas, das wir noch wissen sollten, um seine Absichten besser einschätzen zu können?«
Ich ließ den Kopf hängen und war beschämt, dass ausgerechnet dieser Aspekt meines Lebens nun offenbar wurde. Mir war klar, dass – was auch immer ich sagte – meine Lage sich nur verschlechtern konnte.
»Er schwor, dass er mir nie ein Leid zufügen würde, und ich bin überzeugt, dass er sein Wort nicht brechen wird.« Meine Stimme klang schwach, denn ich wollte nicht lauter als nötig reden, nur so, dass der Hauptmann mich verstand. Ich hegte die unsinnige Hoffnung, dass Steldor es vielleicht überhören könnte.
Cannan musterte mich für eine Weile, was mich weiter demoralisierte, und ich hatte keine Vorstellung davon, was er inzwischen denken mochte. Schließlich erhob er sich und deutete auf die Tür.
»Mehr Informationen brauche ich nicht von Euch, Eure Hoheit. Ihr könnt gehen.«
Ich kam ebenfalls auf die Füße und wusste nicht, wen ich gefahrlos ansehen konnte. Mein Vater blickte mit unverhohlener Enttäuschung finster drein. Galens Augen gingen besorgt zwischen dem König und mir hin und her. Destari schien einen Fleck an der Wand zu fixieren und weigerte sich entschlossen, irgendwen oder irgendetwas in dem Raum anzusehen. Cannan, der mit mir fertig war, hatte seine Aufmerksamkeit ganz auf Steldor gerichtet, und schien ebenfalls über das hitzige Temperament seines Sohnes nachzudenken.
Die Männer erhoben sich, als ich auf die Tür zuging, wie es das Protokoll vorschrieb, auch wenn es fraglich war, ob ich ihren Respekt tatsächlich noch genoss. Im letzten Moment, bevor ich die Schwelle zum Thronsaal überschritt, warf ich noch einen Blick auf meinen Ehemann. Das mörderische Funkeln seiner Augen verriet mir überdeutlich, welche Schlüsse er gezogen hatte.
Zögernd blieb ich stehen, nachdem sich die Tür des Wachzimmers hinter mir geschlossen hatte, denn ich wusste nicht, wohin ich mich begeben sollte. Zweier Punkte war ich mir sicher: Steldor würde mich zur Rede stellen, und es gab keine Möglichkeit, ihm zu entrinnen. Seufzend durchquerte ich den Saal, verließ ihn durch das königliche Studierzimmer und nahm schicksalsergeben das private Treppenhaus der königlichen Familie, um zu meinen Gemächern im zweiten Stock zu gelangen. Nun war es offenbar an der Zeit, für meine Sünden zu bezahlen.
Die Stunden schlichen dahin, ohne dass Steldor auftauchte. Ich versuchte, mir die Zeit zu vertreiben, indem ich im Salon las, aber schließlich begab ich mich doch in mein Schlafzimmer, um mich hinzulegen. Die Anspannung verursachte mir schreckliche Kopfschmerzen.
Ich bewohnte jetzt das Zimmer, das zuvor meiner Mutter gehört hatte, aber zumindest hatte ich meine Daunenkissen und die cremefarbene Tagesdecke aus dem Schlafgemach meiner Kindheit mitgebracht. Die damit verbundene Vertrautheit vermittelte mir eine gewisse Geborgenheit, nachdem ich bis auf meine Kleider alles andere zurückgelassen hatte. Ich wünschte, ich hätte auch meine
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