Alera 02 - Zeit der Rache
noch bleibt, ist, dich und Alera zu beschützen.«
»Nehmt Alera, den früheren König und die Königin, aber ich werde nicht fliehen.«
Ein Stuhl scharrte, und ich wusste, dass der Hauptmann aufgestanden war.
»Wenn der Overlord eintrifft, wird er dich töten. Begreifst du das? Und es wird weder ein rascher noch ein würdevoller Tod sein.«
»Und was ist daran würdevoll davonzulaufen?« Steldors Stimme war lauter und leidenschaftlicher geworden. »Ihr sagt, ich sei der König und dass Ihr mich beschützen müsstet, aber selbst wenn ich ginge, wovon wäre ich denn dann noch König? Es wird kein Königreich mehr geben, in das ich zurückkehren könnte.« Kurz herrschte Schweigen, und ich konnte Vater und Sohn direkt vor mir sehen, wie sie einander anstarrten, bis Steldor genauso entschlossen seine Entscheidung bekannt gab. »Ich sterbe mit meinem Volk.«
Es folgte neuerliches Schweigen, dann wechselte Cannan das Thema. »Wir werden das besprechen, sobald die Kundschafter zurück sind. Destari, Euer/Dein Bericht?«
Ich erinnerte mich daran, dass der Elitegardist etwas hatte sagen wollen, als Steldor die Auseinandersetzung mit seinem Vater begonnen hatte.
»Sir, ich habe an unsere Notfallstrategie gedacht. Wenn es ein paar Männern gelingen würde, die Ziele zu erreichen, dann wäre jetzt wohl der Moment dafür gekommen.«
»Ihr habt recht«, sagte Cannan, und ich hörte, wie er sich wieder setzte. »Trotzdem wäre es ein Wagnis, Männer in dieser Situation loszuschicken. Der Palast ist umstellt, und in der Stadt wimmelt es von feindlichen Soldaten. Und so gern ich dem cokyrischen Sieg etwas von seiner Süße nehmen würde, so dringend muss ich meine Männer, insbesondere meine Stellvertreter, mit anderen Aufgaben betrauen. Ich kann keine Soldaten zu einer so gefährlichen Mission entsenden, wenn es nicht absolut notwendig ist.«
»Ja, Sir.«
Vom Gang her waren Geräusche zu hören, als dann die Tür zum zweiten Mal auf- und wieder zuging, wusste ich, dass der kräftige Gardist gegangen war, um einen Auftrag zu erfüllen.
Niemand sprach mehr, sodass ich annahm, Steldor und sein Vater waren allein zurückgeblieben. Als das Schweigen andauerte, erhob ich mich, setzte vorsichtig meine nackten Füße auf den Boden und schob die Tür ein winziges Stückchen auf, um in das Dienstzimmer hineinsehen zu können.
Steldor hatte sich auf den gepolsterten Sessel in der entferntesten Ecke gesetzt. Sein Kopf ruhte an der Lehne und er hielt die Augen offen, obwohl es ihm sichtlich an Schlaf mangelte. Cannan saß, wie ich es vermutet hatte, hinter seinem Schreibtisch und hatte den Blick auf seinen Sohn gerichtet. Ich konnte nicht enträtseln, was im Kopf eines Mannes, der für die Sicherheit so vieler Menschen die Verantwortung trug, vorgehen mochte.
»Du solltest schlafen«, sagte der Hauptmann schließlich, doch Steldor antwortete mit keinem Wort. Cannan sprach ihn nicht noch einmal an, sondern wartete geduldig auf eine Reaktion. Als Steldor schließlich das Wort ergriff, klang seine Stimme gequält.
»Vater, was wird mit uns geschehen?«
Cannan hielt einen Augenblick lang inne, und ich sah, wie er die Zähne zusammenbiss. Dann antwortete er so ehrlich, wie er es vermochte.
»Wenn der Overlord eintrifft, wird er unsere Kapitulation verlangen, und seine Bedingungen werden gnadenlos sein. Er wird die führenden Köpfe Hytanicas foltern und töten – dich, falls du noch da bist; Alera, sofern sie zugegen ist. Vielleicht beginnt er auch mit Adrik und Elissia, um an ihnen ein Exempel zu statuieren. Darüber hinaus … ich weiß es nicht.«
Mein Puls begann bei Cannans Worten zu rasen, und ich fürchtete, der Schrecken, der mich durchfuhr, würde mir das Herz zerreißen und mir so einen gnädigeren und weniger schmerzhaften Tod bereiten. Steldors Brust hob und senkte sich einige Male heftig, während er die Worte seines Vaters überdachte. Dann drehte er den Kopf so zur Seite, dass weder Cannan noch ich sein Gesicht sehen konnten.
»Und dich auch?«
Der Rest der Frage blieb unausgesprochen, aber Cannan verstand auch so. Er wartete, bis sein Sohn ihn wieder anblickte, und in dem Moment, als er das tat, da wusste ich, dass der junge König Hytanicas zumindest für den Moment nicht mehr tapfer sein konnte.
»Wahrscheinlich.«
Dieses eine Wort traf mich fast so hart wie Steldor, und ich schlich mit einem seltsamen Geräusch in den Ohren auf die Liege zurück. Wie viele von uns würden einen langsamen, quälenden Tod
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