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Alera 02 - Zeit der Rache

Alera 02 - Zeit der Rache

Titel: Alera 02 - Zeit der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cayla Kluver
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sterben? Cannan hatte mir Mut bescheinigt, aber der genügte nicht, um ein solches Ende würdevoll zu ertragen. Und wie sollte das meinen Eltern gelingen? Oder überhaupt irgendjemand? Endlich verstand ich den Grund für die schrecklichen Mythen, die sich um den Overlord rankten. Endlich begriff ich die Furcht und den Schrecken, die die bloße Erwähnung seines Namens auslösten.

20. NUR EIN EINZIGER MANN
    Am nächsten Morgen fand ich mich allein in dem Dienstzimmer wieder und machte mich zu einem letzten Rundgang durch den Palast auf. Die Atmosphäre war nicht länger von Furcht geprägt, sondern von etwas noch schlimmerem – Verzweiflung. Kinder bettelten darum, nach Hause zu gehen, während die Eltern ihnen nicht einmal mehr versichern konnten, dass dieses Zuhause noch existierte. Familienangehörige hielten einander in den Armen, um ihre letzten Stunden wenigstens in der Nähe der von ihnen geliebten Menschen zu verbringen.
    Ich hatte Steldor nicht mehr gesehen, seit ich nach seinem Gespräch mit seinem Vater eingeschlummert war – jetzt musste er irgendwo in der Menge verschwunden sein. Wahrscheinlich suchte er verzweifelt nach etwas Ruhe zum Nachdenken. Ich bezweifelte, dass er sie finden würde.
    Die Kundschafter, die Cannan ausgesandt hatte, um unsere Fluchtroute zu kontrollieren, waren, soweit ich wusste, noch nicht zurück. Ich fragte mich, ob – für den Fall, dass sie überhaupt zurückkehrten – mein Gemahl tatsächlich die Flucht verweigern würde. Und ich dachte an all die Menschen, die ich würde zurücklassen müssen. Angehörige und Freunde, die mir lieb und teuer waren. Konnte ich sie alle im Stich lassen? Der Feigling in mir antwortete mit Ja, natürlich. Doch würde ich ein Leben ohne sie ertragen können? Diese Frage war schon schwerer zu beantworten.
    Über die Prunktreppe stieg ich in den ersten Stock hinauf, wo immer noch hektisches Treiben herrschte, und stahl mich in meine alten Gemächer, wo die Erinnerungen an meine Kindheit und an Narian auf mich lauerten. Nostalgische Erinnerungen und dazu das Wissen, dass ich diese Gänge, diese Räume vielleicht nie wieder betreten würde, hätten mich in hemmungsloses Schluchzen ausbrechen lassen, wenn ich meinen Gedanken freien Lauf gelassen hätte. Die Vorstellung von Narian, dem starken, mutigen, zärtlichen jungen Mann, in den ich mich verliebt hatte, und als dunkles Gegenbild dieses finstere Wesen, das meine Heimat in seine Gewalt gebracht hatte – solche Überlegungen hätten mich um den Verstand gebracht.
    Die Räume, die seltsamerweise nicht von der hereindrängenden Masse geplündert worden waren, befanden sich noch genau in dem Zustand, in dem ich sie zurückgelassen hatte, als ich in die Gemächer des Königs und der Königin umgezogen war. Ich spazierte durch den Salon und in mein altes Schlafgemach. Dort fand ich selbst persönliche Dinge, die ich zurückgelassen hatte – Schreibpapier, Spielzeug aus Kindertagen, Bücher und eine alte Haarbürste –, unberührt vor. Da verspürte ich das Bedürfnis, mich auf das nackte Bett zu legen und so zu tun, als sei ich noch ein kleines Mädchen und die Welt noch im Lot.
    Aber ich ignorierte diese Gefühle und trat an die vernagelte Balkontür, dann spähte ich durch das Fenster rechts daneben in den westlichen Innenhof hinunter. Die Bäume und Sträucher hatten ihr Laub bereits verloren, doch ich starrte mit einer Mischung aus Faszination und Grauen auf die sich dort tummelnden feindlichen Soldaten hinunter: Männer und Frauen, die herumliefen, lachten, tranken und ein Festmahl mit den Speisen hielten, die vermutlich aus dem großen Vorratsspeicher der Stadt stammten. Destari hatte also recht gehabt, als er berichtet hatte, die Cokyrier würden feiern.
    In Friedenszeiten hätte ich von hier aus über die Stadtmauern hinweg und bis auf die Felder dahinter schauen können. Doch jetzt verschleierten Rauch und Schmutz die Luft, wofür ich sogar geradezu dankbar war, denn ich wollte den Schaden nicht sehen, den unsere eigenen Truppen gezwungen gewesen waren, anzurichten, um dem Feind zu schaden.
    Ich zuckte zurück, als mir klar wurde, dass ich einige Stunden zuvor dort unten wahrscheinlich die Leichen einiger unserer Soldaten gesehen hätte, denn in dem Innenhof war gekämpft worden. Inzwischen schien sich der Feind der Gefallenen jedoch bereits entledigt zu haben. Ihre Leichname würden niemals den trauernden Familien übergeben, viele würden niemals Gewissheit über das Schicksal ihrer

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