Alera 02 - Zeit der Rache
plötzlich Elitegardisten eingriffen und Frauen und Kinder in den Ballsaal und den königlichen Speisesaal im ersten Stock führten. Gleichzeitig wurden alle gesunden, aber noch unbewaffneten Männer in den Thronsaal gerufen, um dort mit Waffen aus dem Arsenal ausgerüstet zu werden. Schließlich brachte man noch die Verletzten und Gebrechlichen in die Versammlungshalle neben dem Arbeitszimmer des königlichen Leibarztes, wo man alle Heilkundigen des Königreichs zusammengezogen hatte.
Ich bahnte mir meinen Weg durch die Gänge im zweiten Stock, ohne eigentlich zu wissen, wohin ich wollte. Je weiter ich ging, desto hilfloser und bedrängter fühlte ich mich. Das Schloss schien aus allen Nähten zu platzen, und überall verlangte man nach Hilfe und Trost. Ich kämpfte mich durch eine Menschentraube am oberen Absatz der Prunktreppe und hielt mir die Ohren zu, um den Lärm auszusperren, der mir Kopfschmerzen verursachte. Dabei versuchte ich, all denen auszuweichen, die die Stufen heraufstiegen, um unten Platz für Neuankömmlinge zu schaffen. Ich konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Und in all diesem Wahnsinn konnte ich weder Sinn noch Hoffnung ausmachen. Hytanica würde fallen. Heute oder morgen, oder nächste Woche, oder eben dann, wenn wir die Feinde nicht mehr abwehren konnten. Doch der Fall Hytanicas war unabwendbar. Was würde dann mit mir werden? Mit den Menschen, die ich liebte? Mit allen in der Stadt? Und mit all jenen, die mich im Palast umgaben? Als ich Schreie vom Eingangstor vernahm, sah ich, wie Wachen die Knaufe ihrer Schwerter benutzten, um den Durchgang freizubekommen. Ich war davon überzeugt, dass die Cokyrier nun auch unsere letzten Barrikaden überwunden hatten, doch dann schaute ich genauer hin und erkannte, dass bereits gegen unsere eigene Bevölkerung gekämpft wurde, gegen Menschen, die wir nicht mehr beschützen und aufnehmen konnten. Als die Männer es schließlich doch schafften, das Tor zu schließen, wurde der Balken davorgelegt, um es zu versperren. Von der anderen Seite waren Schreie zu hören. Doch niemand antwortete. Stattdessen wurden Möbel und alles, was man finden konnte, aufgetürmt, um den Zugang weiter zu blockieren.
Ich presste mich ans Geländer, um den durcheinanderlaufenden Menschen Platz zu machen, und mir wurde richtiggehend schwindelig – wahrscheinlich wäre ich zu Boden gesunken, doch dafür fehlte einfach der Platz. Die Hitze, die diese Hunderte von Menschen verströmten, war unerträglich.
Ich stöhnte auf, wenngleich niemand mich hörte oder mir Beachtung schenkte, und ich fragte mich, wie ich wohl von Destari getrennt worden war und ob er versuchte, mich wiederzufinden, oder angesichts der drohenden Gefahr irgendwo anders im Einsatz war. Ich schloss die Augen und hob eine Hand, um mir damit über die feuchte Stirn zu wischen, doch da verschränkte jemand seine Finger mit den meinen.
Ich schlug die Augen wieder auf und sah Steldor neben mir, bereit, mich aus dieser Menge zu retten. An seine Hand geklammert stolperte ich ihm nach, während er sich dank seiner Größe und imposanten Statur einen Weg über die Stufen hinab zum Parterre bahnte. Auf das Ansehen unseres Amtes gab da schon niemand mehr etwas.
Gemeinsam schoben wir uns durch den Thronsaal, in dem jetzt Männer behelfsmäßig als Soldaten bewaffnet und notdürftig mit dem Gebrauch der Waffen vertraut gemacht wurden. Im Vorüberlaufen sah ich eine Schwangere zusammenbrechen und einen Mann, der den Respekt vor dem Gesetz vergessen zu haben schien und sich eine der Preziosen aus meinem Heim in seine Tasche stopfte.
Ein anderer taumelte gegen Steldor, der ihn jedoch sogleich am Kragen packte und beiseitestieß. Doch keinen Augenblick lang ließ mein Gemahl meine Hand los. Schließlich betraten wir die Halle der Könige und eilten in Cannans Dienstzimmer, wo der Hauptmann und seine hochrangigen Elitegardisten sich bereits versammelt hatten.
»Ich habe sie«, verkündete Steldor, knallte die Tür hinter uns zu und sperrte so den unablässigen Lärm ein wenig aus.
»Gut«, sagte Cannan, der hinter seinem Schreibtisch saß, kurzangebunden und bedeutete uns, dass wir uns setzen sollten. »Galen?«
»Ich habe ihn nicht gesehen, aber er muss irgendwo da draußen sein. Ich denke, er wird uns finden.«
Wie aufs Stichwort stürmte der Haushofmeister herein. Steldor zog mich gerade noch rechtzeitig beiseite, um mich vor der auffliegenden Tür zu schützen. Dankbar ließ ich mich auf einen Stuhl sinken.
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