Alera 02 - Zeit der Rache
Angehörigen bekommen. Ich seufzte schwer und gab letztlich doch dem Verlangen nach, mich auf das Bett zu legen. Dann schloss ich die Augen, um die Erkenntnis auszuschließen, dass ich eine Gefangene in meinem eigenen Zuhause war.
Als ich erwachte, wusste ich nicht, wo ich mich befand. Mein Kopf war an eine Schulter gelehnt, und man trug mich über den etwas weniger lauten, aber immer noch dicht bevölkerten Flur. Ohne aufzublicken wusste ich, in wessen Armen ich geborgen war, denn sein kräftiger Moschusgeruch und sein Gang waren mir vertraut. Als Steldor mich die Prunktreppe hinuntertrug, bemerkte er, dass ich den Kopf gehoben hatte.
»Ich wollte dir böse sein, weil du einfach so verschwunden bist«, tadelte er mich leise. »Aber ich bin zu froh, dass dir nichts zugestoßen ist.«
Ich nickte und wollte noch nicht ganz aus dem lethargischen Kokon heraus, in den ich mich geflüchtet hatte. Ohne ein weiteres Wort trug er mich ins Dienstzimmer des Hauptmannes, ging an den Männern vorbei, die sich dort versammelt hatten, und legte mich auf die Liege, die Cannan mir überlassen hatte. Dann begab er sich zu den anderen zurück, und ich blieb noch kurz liegen. Doch kaum war die Benommenheit des Schlafes ganz von mir abgefallen, verschwand auch der Wunsch, allein zu sein, und so schlüpfte ich in das Dienstzimmer und setzte mich mit dem Rücken zur Wand auf den Boden.
Auch wenn Cannans Zimmer kein Fenster hatte, so wusste ich doch von unserem Gang durch die Große Halle, dass die Sonne inzwischen untergegangen war und eine zweite Nacht quälender Ungewissheit vor uns lag. Die Aktivitäten im Palast waren nahezu zum Erliegen gekommen, und es gab ohnehin nicht mehr viel, das man noch hätte tun können. Die Menschen waren verängstigt und beunruhigt. Sie gierten danach, unseren finalen Plan zu erfahren, den geheimen Weg, auf dem wir doch noch triumphierend aus diesem tragischen Chaos hervorgehen würden. Denn sie wussten nicht, dass ein solcher Plan nicht existierte.
Als am Abend die Kundschafter so viel später eintrafen, als Cannan das erwartet hatte, brachten auch sie keine beruhigenden Neuigkeiten. Obwohl es bestens ausgebildete Aufklärungsspezialisten waren und sie sich im Schutz des Waldes hatten bewegen können, war es ihnen doch nur unter größten Schwierigkeiten gelungen, auf die andere Seite der nördlichen Stadtmauer zu gelangen. Der Feind war überall und sah alles. Eine Frau oder vielleicht sogar zwei durch den Wald und bis zu den Ausläufern des Gebirges zu bringen, schien praktisch ausgeschlossen oder an Selbstmord zu grenzen. Und wahrscheinlich war es sogar riskanter als meine Mutter und mich im Palast zu belassen und zu versuchen, uns verkleidet unter dem gemeinen Volk zu verstecken.
»Verdammt«, murmelte Cannan. »Ihr nehmt doch nicht an, dass sie –«
»Der Ausgang des Tunnels war nicht speziell bewacht, also denke ich nicht, dass er verraten wurde, Sir«, unterbrach ihn einer der Kundschafter. »Und wir haben natürlich auch nichts unternommen, um die Cokyrier auf seine Existenz aufmerksam zu machen.«
Ich konnte nicht anders, als mich zu fragen, ob es – nachdem ja auch London früher Kundschafter gewesen war – schlicht zu den Gepflogenheiten unter diesen Männern gehörte, dass sie ihren Vorgesetzten ins Wort fielen. Aber wie auch immer, Cannan schien sich nicht daran zu stören, sondern entließ die drei nur mit einem Wink, wobei er einem von ihnen noch auftrug, ihm seine Stellvertreter zu schicken.
»Wird sie bald jemand fortbringen?«, fragte Steldor distanziert und offenbar in der Annahme, dass sein Vater die diesbezüglichen Pläne nicht geändert hatte. Dabei klang mein Gemahl so erschöpft, als könne er sich kaum noch konzentrieren. Er kehrte zu dem Sessel in der Ecke zurück und ließ dort wieder den Kopf gegen die Lehne sinken.
»Ja. Der Ausgang mag ungewiss sein, aber uns bleibt keine andere Wahl. Sobald meine Stellvertreter eintreffen, werde ich die Flucht derjenigen veranlassen, die gehen sollten .«
Ich wusste, dass diese Betonung für Steldor gedacht gewesen war, doch dieser reagierte nicht darauf. Er rieb sich die Augen und versuchte wohl, wach zu bleiben. Doch als er die Hand fortnahm, blieben seine Lider geschlossen und sein Kopf rutschte zur Seite. Offenbar hatte der Körper den Widerstand des Geistes gebrochen. Cannan beobachtete ihn eine ganze Weile, und ich stellte mir vor, dass er in seinem Gedächtnis Erinnerungen hortete, da ungewiss war, wie viel Zeit mit
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