Alera 02 - Zeit der Rache
fliehen.« Steldors Blick drückte seine Entschlossenheit aus, ebenso seine kampfbereite Haltung.
»Hör mir zu, mein Sohn«, sagte Cannan und ging zu ihm hinüber. Aus seiner Stimme klang beinahe so etwas wie Verzweiflung. Er legte eine Hand fest an Steldors Hinterkopf und vergrub seine Finger in dessen dunklem Haar. »Solange es einen König gibt, gibt es ein Hytanica. Solange du am Leben bleibst, besteht die Hoffnung, dass wir eines Tages wieder aufstehen werden.«
»Ein toter König nützt niemand etwas. Ein lebendiger König ist gefährlich, und dein Überleben wird den Sieg des Overlords ein wenig schmälern«, fügte London hinzu. »Aber uns bleibt kaum Zeit, Euch davon zu überzeugen. Also vertraut doch dem Urteil von uns Erfahrenen.«
Steldor starrte seinen Vater an, und seine Entschlossenheit wankte. Cannan legte kurz seine Hand auf den Nacken seines Sohnes. Er wusste, dass die Entscheidung gefallen war.
Daraufhin begleitete man Steldor und mich in unsere Gemächer, damit wir uns umkleiden konnten. Mein Gemahl gab mir ein braunes Hemd und einen dunkelgrünen Umhang, den ich über der Hose anzog, die ich bei der Zusammenkunft mit der Hohepriesterin getragen hatte. Mein Haar steckte ich zu einem festen Knoten auf. Als ich zurück in den Salon kam, wagte sich Kätzchen aus seinem Versteck. Ich nahm es hoch und drückte es an mich. Als Steldor, ebenfalls in dunkle Farben gekleidet, aus seinem Zimmer kam, setzte ich das Tier traurig aufs Sofa, denn mir war klar, dass ich es nicht mitnehmen konnte. Zu meiner Überraschung trug mein Gemahl einen kleinen Dolch bei sich, den er mir anbot. Zu seiner Überraschung schob ich ihn in die Scheide, die Narian mir um den linken Unterarm gebunden hatte und die ich trotz ihrer zeitweiligen Nutzlosigkeit weiter getragen hatte. Dennoch verlor keiner von uns ein Wort darüber. Wir verließen unsere Gemächer, in die wir aller Wahrscheinlichkeit nach nie mehr zurückkehren würden, und ich ließ absichtlich die Tür auf, damit Kätzchen, der in den letzten paar Monaten beachtlich gewachsen war, die Möglichkeit hatte, sich allein durchzuschlagen.
Wir trafen uns im Dienstzimmer des Hauptmannes wieder, wo unsere Gardisten sowie Galen uns erwarteten. Alle trugen nun die braunen Lederwamse der Kundschafter und schwarzen Capes gegen die Kälte. Cannan ordnete an, dass wir paarweise gehen sollten, um so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen, denn es gab so viele verzweifelte, verängstigte Bürger, die uns mit Sicherheit gefolgt wären, wenn sie von einem Tunnel, der aus der Stadt hinausführte, erfahren hätten. Das dann ausbrechende Chaos würde unvorstellbar sein. Ich ging als Erste mit Davan. Wir schoben uns durch die in der Halle der Könige versammelte Menge, bis wir die Tür zum Kerker erreichten, durch die wir sogleich hindurchschlüpften, um am oberen Absatz einer steilen, schmalen Treppe zu stehen. Dort erwartete uns ein Elitegardist, der bereit war, falls nötig die Tür hinter uns zu verriegeln. Er reichte Davan eine Fackel, und wir warteten in angespanntem Schweigen auf London und Miranna.
Die Treppe war nur schwach beleuchtet. Es war kalt, stickig und bedrückend. Wir würden uns unter die Erde begeben, an einen Ort, an den man Menschen sonst nur zur Strafe, zur Folter oder zum Sterben schickte. Als wir uns auf den Weg hinuntermachten, ebbte der Lärm aus dem Palast langsam ab, und ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass wir eine Gruft betraten. Als Davan und ich unten angekommen waren, war ich froh zu sehen, dass die Treppe in einen größeren Raum mündete. Offenbar der Ort, wo die Kerkerwachen sich sonst versammelten. An den Wänden entlang brannten Fackeln, sicherlich auf Cannans Geheiß hin. Allerdings schienen keine Männer im Dienst zu sein. Ich drehte mich um und sah London und Miranna die Treppe herunterkommen und lief rasch zu meiner Schwester, die sich an den Elitegardisten klammerte und ihr Gesicht an seiner Brust barg. Mir wurde mit Schrecken klar, dass sie vermutlich im Kerker des Overlords gewesen war. Umso mehr tat es mir im Herzen weh, dass sie nun zwar wieder bei uns, aber noch längst nicht in Sicherheit war. Ich nahm sie in meine Arme, um London zu befreien, der auf eine der vielen schweren Holztüren zuging, die wiederum zu einer Reihe von Zellen führte.
Als die zweite Gruppe die Treppe herunterkam, nahm Cannan sich eine Fackel aus der Wandhalterung und schloss sich London an. Nach einem kurzen Austausch führten die beiden uns in
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