Alera 02 - Zeit der Rache
Lady Elissia mitgebracht?«, fragte London und ignorierte die Frage des Overlord.
Der Kriegsherr drehte sich um und gab jemand, der im Wald verborgen sein musste, ein Zeichen. Daraufhin stießen zwei Cokyrier, ein Mann und eine Frau, meine Eltern vor sich her auf die Lichtung.
»Alera!«, brach es aus meinem Vater hervor, als er mich erblickte. Doch er verstummte sofort, als man ihm die Klinge eines Dolches so an die Kehle presste, dass Blut hervortrat. Meine Mutter sagte nichts, und ich war mir nicht sicher, ob sie dazu überhaupt in der Lage war, denn ihr Kopf hing herab und das schmutzige blonde Haar verbarg ihr Gesicht.
Ich wäre so gerne zu ihnen geeilt, um sie den Cokyriern zu entreißen, doch ich rührte mich nicht, denn mir war klar, dass ich, um meine eigene Autorität nicht zu untergraben, keine Gefühle zeigen durfte. So hielt ich die Augen weiter auf den Overlord gerichtet, während London mit eiskaltem Blick vortrat. Unser Gegner ergriff als Erster das Wort, mit leiser, gefährlicher Stimme.
»Wäge deine Worte gut, London, denn wenn sie nicht das sind, was ich zu hören wünsche, dann werde ich die beiden, so wie sie hier stehen, töten.«
»Ihr werdet das ehemalige Herrscherpaar meinen Begleitern aushändigen, und mich an ihrer Stelle nehmen«, erwiderte London ungerührt.
Das darauf folgende Schweigen dauerte lang. Die beiden Männer starrten einander an. Dabei suchte der Overlord nach Schwäche und Wankelmut, wovon London keine Spur zeigte.
»Du bist schon immer der geborene Märtyrer gewesen, was?«, ätzte der Overlord, und ich schloss kurz die Augen, erleichtert und entsetzt zugleich, weil er auf den Handel einging. »So loyal, so tapfer, so idiotisch aufopfernd. Ich werde dafür sorgen, dass es dir noch leidtut, bevor du verreckst.«
»Das ist Euch schon beim letzten Mal nicht gelungen«, gab London zurück. »Ich bin gespannt zu sehen, ob Ihr besser geworden seid.«
Vor Zorn über diese Erwiderung kniff der Kriegsherr die Lippen zusammen, dann erhob er die Stimme und wandte sich an Cannan und mich.
»Und ihr! Ihr lasst euren besten Mann einfach so ziehen? Wie werdet ihr es aushalten, euch die Folter vorzustellen, die er erdulden muss? Und die Folter wird schrecklich sein, das kann ich euch versichern. Aber was noch viel wichtiger ist, wie wollt ihr ohne ihn zurechtkommen? Ohne den klugen Kopf hinter eurem Plan, ohne diesen dauernden Dorn in meinem Auge?«
Er machte einen Schritt nach vorn und packte London am Kinn, wodurch seine imposante Gestalt noch deutlicher wurde. London besaß dagegen die typische Figur eines Kundschafters, muskulös, aber schlank. Perfekt für flinke Bewegungen und unbemerktes Fortstehlen im Schutz der Dunkelheit. Der Overlord war dagegen die verkörperte Kampfkraft. Er war mindestens einen halben Kopf größer als der stellvertretende Hauptmann, und die Hand, mit der er seine Beute packte, wirkte unverhältnismäßig riesig. Dennoch blieb London reglos und hielt den Blick des Overlord mit seinen Augen fest.
Ich sah Cannan an und begriff, dass es sinnlos wäre, auf die hämischen Bemerkungen einzugehen. Es würde nichts ändern, und unser Erzfeind weidete sich nur an diesem kleinen Triumph.
»Liefert sie aus«, befahl der Kriegsherr seinen Soldaten, die einen Blick tauschten, bevor sie gehorchten. Sie schienen an seiner Entscheidung zu zweifeln, wagten es allerdings nicht, diese infrage zu stellen. Die Cokyrier zerrten meine Eltern vorwärts, dann stießen sie sie in unsere Richtung, sodass meine Mutter auf den Hauptmann zustolperte und mein Vater in meine Arme.
»Alera«, sagte er erneut und umarmte mich kurz. »Gott sei Dank bist du unversehrt.«
Über die Schulter meines Vaters hinweg konnte ich sehen, wie feindliche Soldaten London die Hände hinter dem Rücken fesselten. Sobald sie damit fertig waren, zerrten sie ihn außer Sichtweite. So blieb uns keine Gelegenheit zum Abschiednehmen. Nachdem er mir noch ein bösartiges Lächeln zugeworfen hatte, verschwand auch der Overlord im dichten Wald.
In den wenigen Stunden, die Miranna nach ihrer Flucht mit London im Palast zugebracht hatte, war niemand dazu gekommen, meinen Eltern mitzuteilen, dass sie am Leben war. Also konnte ich sie auf unserem Ritt zurück zum Unterschlupf in dieser Hinsicht beruhigen. Cannan ritt wortlos voran und hatte meine Mutter vor sich auf dem Pferd. Als ich erwähnte, wie sehr es Miranna bestimmt helfen würde, sie wiederzusehen, schaute meine Mutter mich schockiert an und
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