Alera 02 - Zeit der Rache
sich. Dennoch strahlte es Trost und Sicherheit aus. Ich war erschöpft, meine Schuhwerk zerlumpt, und meine Füße schmerzten bei jedem Schritt. Mein Magen knurrte laut und die Wasserflasche war schon seit einer halben Stunde leer.
Die Wanderung hatte über eine Stunde länger gedauert, als ich dafür veranschlagt hatte. In derart elender Verfassung war ich noch nie gewesen. Ich stolperte den Weg zum Haupteingang entlang. Ich drückte die Klinke und musste feststellen, dass die Tür verschlossen war. Daraufhin stieß ich einen Schrei der Hoffnungslosigkeit aus. Ich widerstand der Versuchung, an Ort und Stelle zusammenzubrechen, und humpelte stattdessen auf die Rückseite des Gebäudes zum Hintereingang, der jedoch ebenfalls fest versperrt war. Ich rüttelte an der Tür, die natürlich nicht nachgab. Da lehnte ich mich gegen sie und brach in Tränen aus. Ich war mir so sicher gewesen, dass meine Pein ein Ende haben würde, sobald mein Ziel erreicht war. Doch nun fühlte ich mich schrecklich verlassen und allein. Ich sank auf den Stufen nieder, vergrub mein Gesicht in den Armen und wusste, dass mein Weinen nur Ausdruck meiner Verzweiflung war, denn hier war weit und breit niemand, der mich hätte hören und mir helfen können.
Ich merkte gar nicht, wie die Zeit verging, bis mein trockener Hals in mir das Bedürfnis nach etwas zu trinken weckte. Als ich den Kopf hob, sah ich das violett-bläuliche Abendrot am Himmel. Bald würde die Dunkelheit hereinbrechen, und ich sollte mich lieber beeilen, wenn ich zuvor meine Flasche noch am Fluss füllen wollte. Danach würde ich zum Haus zurückkehren, denn ich vertraute darauf, dass Steldor nicht so rachsüchtig wäre, mich die Nacht hier verbringen zu lassen.
Auch wenn meine Beine und Füße schrecklich schmerzten, machte ich mich auf den Weg den Hügel hinunter, auf dem das Landhaus stand, und Richtung Waldrand. Dort fand ich mühelos den Pfad, den ich oft mit Semari, Miranna und gelegentlich auch Narian entlangspaziert war. Ich folgte seinen Windungen und stolperte hin und wieder über eine Baumwurzel, die schon im Schatten verborgen lag. Schließlich erreichte ich die kleine Lichtung, die an den Recorah grenzte. Rasch kniete ich mich ans Flussufer und spritzte mir von dem erfrischenden Nass ins Gesicht, um die Spuren von Schweiß und Tränen abzuwaschen. Danach trank ich aus meinen gewölbten Händen. Das Wasser war kalt, und nachdem ich meine Flasche gefüllt hatte, setzte ich mich wieder und tauchte meine geschwollenen Füße mitsamt den zerfetzten Schuhen in die wirbelnden Strudel. Sofort spürte ich, wie die Strömung daran zerrte, und war überrascht von der Kraft des Wassers, selbst so nah am Ufer. Die Kühle brachte mir sogleich willkommene Erleichterung.
Als die Sonne unterging, wurde die Luft auf einen Schlag spürbar kalt, und ein Schauder lief mir über den Rücken. Ich wusste, dass ich besser zum Haus zurückkehrte, doch ich konnte mich einfach nicht dazu aufraffen, denn die Erinnerungen, die mich an diesem Ort überfielen, ließen sich nicht verdrängen. Also spähte ich den Fluss hinunter und entdeckte die Stelle, an der Narian mich im vergangenen Sommer nach meinem Sturz ins wirbelnde Wasser gerettet und dabei zum ersten Mal in die Arme genommen hatte. Meine Kehle schnürte sich zu, und ich biss mir auf die Lippen, um die Gefühle zurückzuhalten, die in mir aufwallten. Schließlich stand ich auf und ging vorsichtig zu den großen Felsen. Dort kletterte ich in sicherer Entfernung zum Wasser hinauf. Denn diesmal wäre Narian nicht zugegen, um mich herauszuziehen.
Ich schaute über den Recorah, und meine Ohren waren erfüllt vom Rauschen und Donnern des mächtigen Stroms, der über Felsen und umgestürzte Bäume dahinstürzte. Die vereinzelten Bäume am gegenüberliegenden Ufer wirkten im schwindenden Tageslicht wie unheimliche Wächter. Ein Stück weit dahinter erblickte ich in einiger Entfernung die Lagerfeuer der Cokyrier. Es fühlte sich seltsam an, ihnen so nah zu sein, dass ich sehen konnte, wo die Feinde Hytanicas aßen und schliefen und auf den rechten Moment zum Angriff warteten. Der Gedanke, dass ich aufgrund der Nähe zu den feindlichen Linien in Gefahr sein mochte, kam mir kurz in den Sinn, aber der Abend schien so ruhig, und die Cokyrier hatten sich offenbar auf eine friedliche Nacht eingestellt.
Ein Geräusch aus dem Wald erschreckte mich, und auf einen Schlag fühlte ich mich kein bisschen mehr sicher. Das war nur ein Tier, versuchte ich
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