Alera 02 - Zeit der Rache
knurrte schon bei der Vorstellung, gleich Essen auf meiner Zunge zu spüren, und ich stopfte mir, was auch immer es sein mochte, in den Mund. Es war zäh und trocken, offenbar typischer Soldatenproviant, doch das war mir egal.
»Ich möchte, dass du hier auf mich wartest.« London sprach mit leiser Stimme, die jedoch keinen Widerspruch duldete. »Ich werde nur kurz fort sein.«
Ich nickte, weil ich ohnedies viel zu erschöpft war, um irgendwelche Fragen zu stellen. Er musterte mich einen Augenblick lang, wirkte ausnahmsweise zögerlich und ließ sich dann vor mir auf ein Knie sinken, um einen Dolch aus seinem Stiefel zu ziehen, den er mir in die Hand drückte. Danach strich er mir noch kurz, aber aufmunternd über die Wange, bevor er rechts von mir die ganze Länge des Hauses abschritt und dabei die baulichen Gegebenheiten studierte. Schließlich hörte ich Glas splittern, weil er offenbar mit dem Knauf seines Schwerts eine Scheibe eingeschlagen hatte. Danach verschwand er aus meinem Blickfeld.
Während ich auf Londons Rückkehr wartete, überwältigte mich erneut die Angst. Warum hatte er mir eine Waffe gegeben? War ich allein hier draußen tatsächlich in Gefahr? Weil ich einer Ablenkung bedurfte, kniff ich in der Dunkelheit die Augen ein wenig zusammen und versuchte, bis zu meinen Füßen zu sehen. Meine Schuhe waren weitgehend zerstört, und die zum Teil hervorschauende Haut rot vor Kälte und mit Blasen übersät. Ich lehnte den Kopf an die Hausmauer und fühlte mich vor Wut über meine Dummheit ganz krank. Hoffentlich käme London bald zurück. Ich wäre fast aufgesprungen, um zu fliehen, als ich seine Hand an meiner Schulter spürte. Es mochte entweder an meiner Müdigkeit oder an seinen Fähigkeiten als Späher liegen, dass ich ihn nicht kommen gehört hatte.
»Kannst du laufen oder brauchst du Hilfe?«, fragte er, kniete sich erneut vor mich hin und warf einen Blick auf meine Schuhe.
»Wo gehen wir denn hin?«, sagte ich und vermochte ein leichtes Zittern in meiner Stimme nicht zu unterdrücken.
London versuchte gar nicht erst, das Gespräch fortzusetzen, sondern begriff meine Schwierigkeiten beim Sprechen sogleich als Zeichen der Erschöpfung. Er hob mich auf und trug mich zur Vorderseite des Hauses.
Dort öffnete er die Tür, die er offenbar von innen entriegelt hatte, und trug mich zu einem bequemen Sessel im Salon. Ich warf einen Blick auf die Möbel, die mir trotz der herrschenden Dunkelheit vertraut waren. Wie sehnte ich mich nach einem Bediensteten, der Tee servierte, wie ich es in diesen Mauern so oft erlebt hatte. London verließ mich noch einmal, kehrte aber rasch mit einer Decke aus einem der Schlafgemächer zurück.
»Hier drinnen bist du sicherer als draußen«, erklärte er und hüllte mich in die Decke. »Ich muss noch einmal in den Wald zurück, um mein Pferd zu holen.«
Er trat zu dem Rundbogen, der den Salon mit dem Vorraum verband, und warf noch einen Blick zu mir zurück.
»Halte den Dolch bereit, nur für alle Fälle …«
Ich schloss die Augen und wollte mich lediglich einige Augenblicke ausruhen, doch ich erwachte erst wieder, als London mich sanft rüttelte. Er nahm mir den Dolch aus der Hand und schob ihn wieder in seinen Stiefel, während ich Mühe hatte, mich zu orientieren. Da hob er mich auch schon wieder auf seine Arme und trug mich durch die Haustür hinaus zu seinem Pferd. Er setzte mich mitsamt der Decke in den Sattel und schwang sich hinter mich, so wie auch Steldor es vor scheinbar endlos langer Zeit getan hatte.
Während er die Zügel aufnahm, murmelte er: »Sobald wir von hier fort sind, bist du mir eine Erklärung schuldig.« Er drückte die Fersen in die Flanken der Stute, und als wir in scharfem Galopp lospreschten, wurde ich gegen ihn geworfen.
Wir hielten uns von den Straßen und Wegen fern, blieben stets in der Deckung des Waldsaums und näherten uns der Stadt in großem Bogen. Ich sagte kein Wort, nicht einmal als London unser Reittier in den Wald und einen ziemlich steilen Hügel hinauflenkte. Das kräftige Tier wich allen Bäumen aus, die in der undurchdringlichen Finsternis wie aus dem Nichts vor uns aufzutauchen schienen. Als das Gelände wieder flacher wurde, zügelte er die Stute, und ich entdeckte vor uns eine höhlenartige Vertiefung im Fels. Schockiert erkannte ich, dass wir in die Ausläufer des Niñeyre-Gebirges geritten waren. Diese Gegend hatte man mir nie zu erkunden erlaubt, zum einen weil ich eine Frau war, zum anderen weil der Feind
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