Alera 02 - Zeit der Rache
haben?«
»Sehr wahrscheinlich«, sagte Destari, und einen Moment lang schien es, als wolle er dem noch etwas hinzufügen, vielleicht Worte der Beschwichtigung, doch er schwieg. Jetzt, wo es so weit war, fiel es schwer, an die gemachten Prognosen zu glauben.
Quälend langsam verging eine Stunde. Destari blieb neben dem Kamin und stocherte gelegentlich im Feuer, während ich abwechselnd meine Hände oder den Teppich zu meinen Füßen betrachtete. Lautes Klopfen schreckte mich auf. Ich sah meinen Leibwächter an und war auf einmal noch nicht bereit, die Nachricht zu hören, die die Person vor der Tür für mich hätte. Immerhin konnten das die letzten Momente sein, in denen ich mich noch »Schwester« nennen durfte.
»Das wäre viel zu früh …«, murmelte Destari und begab sich zur Tür, um aufzumachen. Ich erhob mich und sah Cannan hereinkommen.
»Eure Majestät, wir befinden uns in einer ungewöhnlichen Lage.«
Ich machte ein paar Schritte auf ihn zu, versuchte meine zitternden Hände ruhig zu halten und wartete auf weitere Erklärungen. Er wirkte nicht, als hätte er schlechte Neuigkeiten. Andererseits, warum sollte er mich sonst persönlich aufsuchen?
»Die cokyrische Gesandte ist eingetroffen und verlangt, die Königin zu sehen. Sie sagt, ihre Nachricht sei allein für Euch bestimmt, und sie würde sie niemand sonst überbringen. Sie hat uns des Weiteren mitgeteilt, dass ihr nur drei Stunden bleiben, um in ihr Feldlager auf der anderen Seite des Flusses zurückzukehren. Sonst würden die Cokyrier davon ausgehen, dass wir kein Interesse an Gesprächen hätten.«
» Ich muss mit ihr sprechen?«
»Ja, und zwar bald. Ihr werdet sie im Thronsaal empfangen. Ich werde zugegen sein, ebenso Steldor und zahlreiche Wachen, aber die Nachricht wird sich direkt an Euch richten. Ich vermag nicht mit Gewissheit zu sagen, worum es sich handeln wird, aber ich vermute, dass es den Cokyriern um Zeitpunkt und Ort von Verhandlungen geht. Alles, was Ihr zu tun habt, ist, Euch die Nachricht anzuhören. Danach können Steldor und ich uns um alles Weitere kümmern. Wenn es Euch möglich sein sollte, wäre es aber wohl besser, wenn unsere Erwiderung von Euch käme. Falls sie ein Treffen vorschlägt, und Ihr beschließt, darauf zu antworten, versucht eine Frist von mindestens drei Tagen für uns herauszuhandeln. Und Alera, jetzt kommt das Wichtigste: Verlangt, dass sie Miranna dorthin mitbringen.«
Ich ließ kurz den Kopf hängen, denn ich fühlte mich nicht einmal imstande zu nicken. Daraufhin sah Cannan Hilfe suchend zu Destari. Der Gardist trat vor, legte beruhigend eine Hand auf meinen Arm und führte mich hinter seinem Hauptmann auf den Gang hinaus. Wir benutzten die Privatstiege der Königsfamilie anstatt der Prunktreppe, denn die abgesandte Cokyrierin wartete im Vorzimmer und würde den Thronsaal durch das Arbeitszimmer des Königs betreten. Der Thronsaal war von seltsam starren Palastwachen in ihren königsblauen und goldfarbenen Uniformen gesäumt. Links und rechts der Thronsessel hatte das übliche Rund von Elitegardisten Aufstellung genommen. Ich bemerkte London unter ihnen. Er stach wie immer als Einzelgänger hervor, da er nicht das eigentlich verpflichtende königsblaue Wams trug. Offenbar hatten Cannan und Bhadran ihm endlich erlaubt, sein Krankenzimmer zu verlassen.
Ich erklomm die Empore und blieb kurz vor meinem Thron stehen. Eigentlich war ich mir fast sicher, mich in einem seltsamen Traum zu befinden. Destari postierte sich zu meiner Linken, Cannan, der seine schwarzlederne Soldatenuniform trug, begab sich an die rechte Seite des Königs. Der ebenfalls schwarz gekleidete Steldor wirkte ebenso imposant wie sein Vater, nicht zuletzt wegen der Königskrone auf seinem dunklen Haar. Er sah mich aufmunternd an, doch auch das bewirkte nicht, dass ich mich der Aufgabe gewachsen fühlte, die mir bevorstand. Ich wünschte, ich wäre etwas majestätischer gekleidet gewesen oder trüge zumindest meine Krone, doch für solche Vorbereitungen war ebenso wenig Zeit gewesen wie für irgendeinen Protest.
Ich versuchte, mir im Geiste noch einmal Cannans Anweisungen zu vergegenwärtigen, doch da wurden auch schon von zwei Palastwachen die Türen zum Vorzimmer geöffnet. Eine zierliche und dennoch auf seltsame Weise herrisch wirkende Frau trat hervor. Sie war wie alle cokyrischen Soldaten in Schwarz gekleidet, trug ein Schwert an der Hüfte sowie einen Bogen und einen Köcher mit mehreren Pfeilen auf dem Rücken. Aus einem ihrer
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