Alera 02 - Zeit der Rache
kniehohen Lederstiefel ragte ein Dolch, und in dem Anhänger um ihren Hals verbarg sich gewiss ein weiterer mit einer kleineren Klinge, denn die Cokyrier hatten ein Faible für intelligente und ungewöhnliche Waffen. Ihr goldblondes Haar war nur eine Spur dunkler als ihr Teint und fiel ihr in anmutigen Locken bis über die Schultern. Dieser Anblick erinnerte mich schmerzlich an meine Schwester.
Während die Botschafterin näher kam, richtete ich mich hoch auf und stimmte meinen Atemrhythmus unwillkürlich auf das Geräusch ihrer Schritte ab. Sie blieb etwa zehn Schritte vor der Empore stehen, fiel kurz auf eines ihrer Knie, erhob sich wieder und richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf mich, ohne dem König auch nur einen Blick zu gönnen. Ich erinnerte mich an die Haltung meines Vaters, als die Hohepriesterin höchstpersönlich unseren Palast aufgesucht hatte, und ahmte diese bewusst nach: Mit strenger Miene richtete ich meinen Blick unablässig auf das Gesicht der Frau.
»Eure Majestät, Königin von Hytanica«, begann sie mit klarer, kräftiger Stimme, und ihr Akzent erinnerte mich an Narian. »Ich komme mit einer Nachricht von meiner ruhmreichen Herrscherin, der Hohepriesterin von Cokyri, zu Euch.«
Sie schwieg, und ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, dass sie auf meine Erlaubnis, fortzufahren, wartete.
»Dann teilt uns diese wie befohlen mit«, sagte ich und hoffte, meine Stimme würde nichts von meiner Nervosität verraten.
»Die Hohepriesterin geruht, Euer Ersuchen um die Freilassung Eurer Prinzessin anzuhören.«
Sie griff in einen Beutel an ihrer Seite, was einige Wachen veranlasste, enger zusammenzurücken, doch sie reckte sogleich eine Hand in die Höhe, um uns ihrer friedlichen Absichten zu versichern. Ohne ein Wort zog sie sodann eine lange, rotblonde Locke hervor und hielt sie hoch, damit alle sie sehen konnten. Ich rang um meine Fassung.
»Dies bringe ich Euch, damit Ihr sicher sein könnt, dass sie sich in unserer Gewalt befindet. Um ihre Sicherheit zu gewährleisten, habt Ihr meinen Anweisungen genau Folge zu leisten. In fünf Tagen von heute an, also bei Vollmond, wird die Hohepriesterin zur Brücke kommen und Euch dort mit ihren Wachen erwarten. Sie wird, wie auch ich, ausschließlich mit der Königin sprechen. Sollte die Königin nicht erscheinen, wird die Hohepriesterin jegliche Verhandlungen verweigern.«
Danach war im Thronsaal ein leises Murren zu vernehmen, das Cannan mit einem bösen Funkeln jedoch sogleich verstummen ließ. Steldor saß angesichts der cokyrischen Bedingungen wie erstarrt, doch ich schenkte ihm keinerlei Aufmerksamkeit. Ich dachte rasch nach und rief mir ins Gedächtnis, was Cannan mir als wichtigsten Punkt eingeschärft hatte. Dann überkam mich eine tiefe Ruhe, und ich hob gelassen zu meiner Erwiderung an.
»Sehr gut – ich werde Eure Herrscherin treffen. Allerdings unternehme ich diese Reise nur, wenn Prinzessin Miranna dies auch tut.«
Die Cokyrierin verzog missbilligend den Mund.
»Ihr gefährdet das Leben der Prinzessin, indem Ihr solche Spielchen spielt«, warnte sie mich und schloss eine Faust um Mirannas Locke, als wolle sie das Risiko demonstrieren.
»Wagt es nicht, mir vorzuwerfen, ich würde ihr Leben gefährden! Ihr habt mir nicht einmal den Beweis dafür erbracht, dass sie überhaupt noch am Leben ist – die Haarlocke könnte man auch einer Toten abschneiden. Ich willige jedenfalls in keinerlei Verhandlungen ein, solange ich nicht die Gewissheit habe, dass meine Schwester lebt.«
Die Botschafterin antwortete geradezu peinlich lange nicht darauf, und ich wollte verzweifelt gern Blickkontakt mit Cannan aufnehmen. Doch ich widerstand, weil ich zum einen nicht wankelmütig erscheinen wollte und zum anderen fürchtete, in seinem Gesicht nicht die erhoffte Zustimmung zu sehen.
»Kommt zur Brücke und nehmt an der Zusammenkunft Teil, Königin von Hytanica«, sagte die Cokyrierin schließlich in nicht zu deutendem Ton. »Ich werde Euer Anliegen der Hohepriesterin vortragen.«
»Sorgt dafür, dass sie ihm nachkommt.«
Die Frau starrte mich finster an, dann fiel sie widerwillig auf ein Knie, um ihren Respekt zu bezeugen, bevor sie aus dem Thronsaal stolzierte.
Sobald sich die Türen des Vorzimmers hinter ihr geschlossen hatten, begann ich zu zittern und alle Kraft verließ mich. Steldor streckte seine Hand aus, um mich zu stützen, London trat neben mich und legte mit triumphierendem Lächeln eine Hand auf meinen Arm. Auch Cannan kam zu mir und
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