Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
Seiten von Sandbänken oder Felswänden vor dem Sturm Unterschlupf gesucht hatten.
Meine Instrumente waren auf kürzere Reichweiten am effektivsten, und so blieb ich fünfzig Meter über dem Meeresspiegel. Chase bedrängte mich, höher zu steigen, erklärte mir, die Kapsel sei plötzlichen heftigen Luftbewegungen unterworfen, und ein scharfer Fallstrom könne sie leicht ins Meer ziehen. Doch trotz der zahlreichen Stürme gab es keine Spuren von Turbulenzen.
An diesem dritten Nachmittag untersuchte ich schätzungsweise zwanzig Inseln. Keine schien vielversprechend. Ich näherte mich einer weiteren (einer ziemlich großen, die stark der mit dem Vulkan ähnelte), als mir etwas Ungewöhnliches auffiel. Ich war mir nicht sicher, worum es sich handelte, wenngleich es mit einer Horde Schwimmer zu tun hatte, die etwa einen halben Kilometer nördlich von der Insel ziellos über die Oberfläche trieben.
Ich schaltete auf Handsteuerung um und reduzierte die Geschwindigkeit.
»Was ist los?«
»Alles in Ordnung, Chase.«
»Du verlierst an Höhe.«
»Ich weiß. Ich habe mir die Schwimmer angesehen.« Mehrere reagierten genau wie am Vortag auf eine Weise, die erkennen ließ, daß sie sich meiner Anwesenheit bewußt waren. Aber sie mußten zum Schluß gekommen sein, daß ich keine Bedrohung für sie darstellte.
Es wehte kein Lüftchen. Das Meer war ruhig.
Ich wurde das Gefühl nicht los, daß mit dem Bild etwas nicht stimmte: See, Himmel, Animaten.
Eine Welle.
Sie näherte sich den Schwimmern von der anderen Seite. Grün und weiß, mit einem ständig zusammenbrechenden und sich neu formenden Kamm, rollte sie durch die ruhige See. Die Insel war lang und schmal, mit einer hohen Felsküste an der Ostspitze, die dann zu hellgrünen Wäldern und weißen Stränden abfiel. An geschützten Stellen lagen ruhige Teiche.
»Das wäre was für mich«, schwärmte Chase nicht ohne Sehnsucht.
Ich sank durch die schwere Nachmittagsluft hinab und setzte knapp hinter der Wasserlinie auf dem Sand auf. Die Sonne näherte sich dem Horizont; sie war fast violett. Ich schob die Dachluke zurück, stieg aus und sprang zu Boden. Die Brandung war laut. Ich sah über diesen Ozean hinaus, über den noch nie ein Schiff gesegelt war. Es war ein schöner, warmer Spätsommertag mit gerade dem richtigen Biß in der salzigen Luft. Hier. Wenn es eine passende Stelle auf dieser Welt gab, wo die Verschwörung ihren Höhepunkt erreicht hatte, dann hier.
Doch ich wußte, daß dem nicht so war. Die Orter hatten keine Spuren einer Besiedlung gefunden. An diesem Strand hatte noch kein anderer Mensch gestanden.
Draußen, hinter der Brandung, spielten ein paar kleinere Schwimmer in den Luftströmungen.
Die Welle näherte sich weiterhin. Sie bewegte sich irgendwie nicht im Einklang mit der Wasseroberfläche – zu symmetrisch, zu zielbestimmt und vielleicht auch zu schnell. Sie beschleunigte sogar.
Seltsam.
Ich ging zum Ufer hinab. Einige gewaltige Muscheln, eine davon fast so groß wie die Kapsel, rollten sanft in den Untiefen. Ein kleines Wesen mit einer Menge Beinen spürte meine Gegenwart und grub sich schnell in den Sand ein. Doch es zog den Schwanz nicht tief genug nach. Wieder bewegte sich etwas im Wasser, ein schnelles Aufflackern von Licht, und war dann verschwunden.
Einige Schwimmer wandten sich der Welle zu, und sie löste sich auf. Die Animaten blieben unsicher. Die meisten ließen sich so hoch treiben, wie es ihnen möglich war, ohne die Ranken aus dem Meer zu ziehen. Einige wenige, kleiner, heller und wahrscheinlich jünger, lösten sich völlig und stiegen in den Nachmittagshimmel empor.
Ich beobachtete sie fasziniert.
Nichts geschah.
Ein Schwimmer nach dem anderen kehrte zur Oberfläche zurück, bis sich schließlich fast die gesamte Herde wieder über dem Wasser befand. Ich nahm an, daß sie sich vom örtlichen Equivalent von Plankton ernährten.
Das Meer blieb ruhig.
Doch ich spürte ihre Unruhe.
Ich wollte gerade zur Kapsel zurückkehren, als sich die Welle von neuem bildete. Viel näher.
Ich wünschte, ich hätte ein Fernglas mitgenommen, doch es befand sich in einem Fach hinter den Sitzen, und ich wollte mir nicht die Zeit nehmen, zur Kapsel zurückzukehren, die sich etwa zweihundert Meter von mir entfernt am Strand befand.
Die Welle hielt direkt auf die Schwimmer zu und schlug einen Kurs ein, der mehr oder weniger parallel zur Küstenlinie verlief. Erneut schien sie an Geschwindigkeit zu gewinnen. Und größer zu werden. Eine
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