Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
trocknen Sand ab und lief weiter. Vor mir wirbelte das Wasser über die Kufen und um die Leiter. Ich stapfte hindurch, ein schwerer Schritt nach dem anderen, und mußte bei jedem den Stiefel herausziehen, bevor ich weiterkam.
In den Untiefen brach die Welle und toste über den Strand.
Nur einer der gefangenen Schwimmer war noch in der Luft. Er peitschte in engen kleinen Kreisen umher, schrillte unaufhörlich und vergrößerte meine Panik nur noch.
Die Sonne war jetzt nicht mehr zu sehen.
Chase’ Stimme explodierte im Komlink: »Komm schon, Alex. Lauf!«
Ich schleppte mich verzweifelt die letzten paar Meter weiter. Das Wasser stand immer höher, und die Beine meiner Hosen waren naß und begannen zu brennen und glitten klamm über meine Haut. Eine weitere Ranke, faserig und grün und lebendig , schlang sich um einen Fuß und spannte sich. Ich stolperte gegen die Leiter, hielt mich fest und trat den Stiefel ab. Ich zog mich hoch, drückte auf den Knopf, wartete mit schierer Panik, bis sich die Dachluke öffnete, fiel ins Cockpit, warf den Magnetantrieb an und hämmerte auf das Computerpanel, um die anderen Systeme zu aktivieren. Dann riß ich den Starthebel zurück, und die Kapsel schoß in die Luft. Die Welle schlug gegen die Verstrebungen und Kufen, das Beiboot legte sich gefährlich auf die Seite, und ich wäre beinahe herausgefallen. Ich baumelte aber dem kochenden Wasser, und einen schrecklichen Augenblick lang dachte ich, die Kapsel würde sich endgültig überschlagen. Weitere Ranken zuckten leise herauf. Die Spitze von einer streifte meinen Fuß, eine andere schlang sich um die Kufen.
Ich taumelte ins Cockpit und zog die Dachluke zu. Im selben Augenblick machte das Beiboot einen Satz und sank tiefer. Ich sah mich nach einem Messer um, wollte in meiner Panik wieder hinausklettern. Ich hatte Glück – es war keins an Bord. Das zwang mich, einen Augenblick lang nachzudenken.
Ich schob den Hebel schnell vor. Die Kapsel fiel noch ein paar Meter, und dann gab ich vollen Schub und riß den Knüppel zurück. Wir schossen voraus, kamen zu einem plötzlichen Halt, der die Kapsel erzittern ließ, und rissen uns dann los.
Ich wußte es nicht, doch eine Kufe war abgerissen.
Ich warf ihr den größten Teil meiner Kleidung hinterher.
Unter mir war das zähflüssige, dicke Wasser über einen Großteil der Insel gerollt.
Und ich dachte an Christopher Sim und seine Männer und erschauderte.
Danach schloß ich tropische Inseln als wahrscheinliche Kandidaten bei meiner Suche aus. Bestimmt, so dachte ich, waren sich die Verschwörer dieser Gefahr bewußt gewesen. Sie mußten sich nach einem anderen Ort umgesehen haben.
Als ich am Morgen des nächsten Tages verdrossen durch einen grauen, regnerischen Himmel kreuzte, zogen die Monitore eine gezackte Linie über die lange Biegung des Horizonts. Der Ozean wurde lauter, und ein steinerner Gipfel erschien aus dem Nebel zu meiner Rechten. Er war fast eine Nadel, von Wind und Wasser geglättet.
Es folgten weitere tausend Türme, die sich aus dem dunklen Wasser erhoben, auf einem Weg, der fast parallel zur Umlaufbahn der Corsarius verlief, von Nordosten nach Südwesten wanderten. Der Sturm schlug gegen sie und ließ mein kleines Beiboot erzittern. Chase drängte mich, höher zu steigen und sie zu überfliegen.
»Nein«, sagte ich. »Das ist es.«
Zwischen den Gipfeln erfaßten mich Windböen. Ich navigierte so vorsichtig wie möglich, geriet aber schnell in Verwirrung und wußte nicht mehr, wo ich schon gewesen war und wohin ich noch wollte. Chase weigerte sich, mir vom Centaur aus zu helfen. Schließlich sah ich mich gezwungen, auf ein paar tausend Meter Höhe zu ziehen und auf das Ende des Sturms zu warten. Bis dahin wurde es dunkel.
Als ich erwachte, stand die rot gefärbte Sonne schon hoch am Himmel. Die Luft war kalt und klar.
Chase wünschte mir einen guten Morgen.
Ich war steif und verkrampft und mußte dringend duschen. Ich begnügte mich mit einem Kaffee und ließ mich zurück zwischen die Türme treiben. »Hier muß es irgendwo sein«, meinte ich zu Chase.
Ich sagte es immer und immer wieder, während es allmählich schon Nachmittag wurde.
Die Berge funkelten blau und weiß und grau. Und das Meer brach sich an ihnen. Gelegentlich hatte an einer steilen Felswand ein Strauch oder Baum Wurzeln geschlagen. Vögel schrien auf den Gipfeln und schossen über die brodelnde See. Schwimmer waren keine zu sehen; vielleicht fürchteten sie die Kombination aus
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