Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
Leisha Tanners Notizbüchern entdeckt hatte. Er forderte sofort eine Übermittlung an, und sie traf gegen Mittag ein.
Die ganze Zeit über hatte ich Anrufe von ausgebufften Ganoven und betrügerischen Finanzmaklern bekommen, die behaupteten, Geschäftspartner meines Onkels gewesen zu sein und auch weiterhin den einen oder anderen teuren Dienst ›leisten‹ wollten. Es befanden sich Weinhändler darunter, Grundstücksmakler, ein Mensch, der sich als Stiftung bezeichnete, die es sich zur Aufgabe gemacht habe, Monumente von prominenten Geschäftsleuten zu errichten, und zahlreiche Anlagenberater. Und so weiter. Ich hatte damit gerechnet, daß der Spuk allmählich nachließ, doch es wurden immer mehr und nicht weniger.
»Von jetzt an«, sagte ich zu Jacob, »gehören sie dir. Wimmle sie ab. Entmutige sie.«
»Wie?«
»Gebrauche deine Phantasie. Sag ihnen, wir würden das Geld einer würdigen Sache stiften. Erfinde ruhig eine. Und ich hätte mich auf einen einsamen Berg zurückgezogen.«
Dann befaßte ich mich mit Leisha Tanner.
Die Notizbücher umfaßten fünf Jahre, während denen sie Dozentin an der Universität Khaja Luan auf der Welt desselben Namens gewesen war. Die ersten Einträge stammten aus der Zeit, da sie den Dichter Walford Candles kennenlernte, und der letzte schloß mit ihrem Rücktrittsgesuch, im dritten Jahr des Widerstands.
Sie waren ursprünglich als Aufzeichnungen über den Fortschritt ihrer Studenten gedacht; doch mit dem Anfang der Spannungen auf Imarios, der nachfolgenden Revolte und Cormorals katastrophaler Intervention weiteten sie sich zu einem bildlichen Porträt des sozialen und politischen Aufruhrs auf einer kleinen Welt aus, die in einer Zeit, da Christopher Sim und seine Heldenbande jede Unterstützung benötigten, darum kämpfte, ihre Neutralität zu bewahren und damit ihr Überleben zu sichern.
Einige ihrer Beschreibungen sind beunruhigend. Wir sind daran gewöhnt, von denen, die dem Ansturm der Ashiyyur aktiven Widerstand leisteten, als Patrioten zu denken: kühne Männer und Frauen, die auf Hunderten von Welten Leben und Vermögen aufs Spiel setzten, um während der Krise zögerliche Regierungen zum Eingreifen zu bewegen. Doch hier schreibt die Tanner über die Reaktion auf den Angriff der Stummen auf die Stadt auf der Klippe:
Heute verdammte in der Innenstadt Sprecher um Sprecher die Regierung und drängte auf eine sofortige Intervention. Darunter einige von der Universität, sogar der alte Angus Markham, den ich noch nie wütend gesehen habe. Sie wurden unterstützt von einigen oppositionellen und machtlosen Politikern und einigen Künstlern, die allen Ernstes verlangen, wir sollten die gesamte Flotte ausschicken, um Krieg gegen die Ashiyyur zu fahren. Gestern las ich, daß die ›Flotte‹ aus zwei Zerstörern und einer Fregatte besteht. Einer der Zerstörer wird gerade einer Generalüberholung unterzogen, und alle drei Schiffe sind völlig veraltet.
Es waren andere Demonstranten anwesend, die ich für Mitglieder der Freunde der Konföderation hielt. Sie hetzten die Menge auf, die wiederum ein paar Leute zusammenschlug, die nicht ihrer Meinung waren, und ein paar, die sie zwar vertraten, aber nicht schnell genug davonliefen. Dann brachen sie zu einem Marsch zum Ratssitz auf. Doch der Greenville Park liegt ein beträchtliches Stück von der Balister Avenue entfernt, und unterwegs warfen sie ein paar Fahrzeuge um, griffen die Polizei an und brachen in ein paar Kneipen ein.
Ein Patriot ist jemand, der bereit ist, für eine gerechte Sache alles zu opfern, sogar die Kinder anderer Leute.
Dieser verdammte Sim! Der Krieg geht immer weiter, und jeder weiß, daß er sinnlos ist. Gerüchte besagen, die Ashiyyur hätten uns um die Amorda gebeten. Um Gottes willen, hoffentlich ist der Rat klug genug, darauf einzugehen.
Ich schlug Amorda nach. Es war eine Friedens- und Autonomiegarantie für jeden, der die ashiyyurische Oberhoheit akzeptierte. Überrascht stellte ich fest, daß für jede Menschenwelt, die sich dem Widerstand anschloß, zwei neutral blieben. Ein paar unterstützten sogar die Invasoren.
Die Amorda. Ein ganz einfaches Angebot: ein paar Kubikzentimeter Erde aus jeder Hauptstadt, umschlossen von einer Urne aus reinem Silber, die die Pflichttreue symbolisierte.
Ich blätterte auf dem Bildschirm weiter. Während der Rat über seine Vorgehensweise debattierte, schlug für die Stadt auf der Klippe die letzte Stunde. Die Ashiyyur vernichteten ihre
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