Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
richtig!« rief jemand hinten in der Menge.
Marcusi nahm die Gelegenheit wahr. »Wir sprechen hier nicht über Geld, Doktor Tanner«, sagte er und versuchte, laut zu sprechen, was ihm jedoch nicht ganz gelang. »Es steht viel mehr auf dem Spiel als nur ein paar Stipendien. Wir sprechen hier über Menschenleben, und vielleicht über das Überleben der menschlichen Rasse, bis wir uns gegen die gemeinsame Gefahr geeinigt haben.«
Er kam mit einem schrillen Zetern zum Ende, bekam aber trotzdem lauten Applaus.
Und jemand begann zu singen. Andere nahmen den Rhythmus auf, und Leisha stand entmutigt da und beobachtete die Menge. Das Lied wurde lauter und erfüllte den Platz. Es war die uralte Schlachthymne der Stadt auf der Klippe. Das ›Condor-ni‹.
Ich verbrachte die nächsten paar Tage damit, mich in Universitätsbibliotheken und abgelegenen Archiven einzuklinken und nach allen verfügbaren Informationen über die Tanner zu suchen. Abends las ich mich mit den Werken Rashim Machesneys in den Schlaf. Ich traf mich einmal mit Quinda zum Abendessen; eine sehr angenehme Abwechslung. Zum erstenmal verbrachten wir unsere Zeit nicht damit, über den Widerstand zu sprechen.
Mehrere Abende nach meiner Fahrt mit der Kudasai rief Chase an, um mir zu sagen, daß sie etwas gefunden habe. Was, wollte sie mir nicht sagen, doch sie klang aufgeregt. Das sah ich nicht gerade als gute Nachricht an. Ich hatte allmählich gehofft, an einer leeren Wand angelangt zu sein, die es mir erlauben würde, mich mit reinem Gewissen zurückzuziehen.
Sie traf eine Stunde später mit einem Kristall ein und zeigte einen unwahrscheinlich zufriedenen Gesichtsausdruck. »Hier habe ich«, sagte sie und hielt den Kristall hoch, »die gesammelten Briefe Walford Candles’.«
»Sie machen Witze.«
»Hallo, Chase«, sagte Jacob. »Das Abendessen wird in etwa einer halben Stunde fertig sein. Wie hätten Sie Ihr Steak gern?«
»Hallo, Jacob. Medium bis gut durchgebraten.«
»Sehr wohl. Es ist schön, Sie wiederzusehen. Und ich freue mich darauf, mir Ihren Fund ansehen zu können.«
»Danke. Ich habe mit Leuten in Literaturfakultäten und Bibliotheken auf dem ganzen Kontinent gesprochen. Das befand sich in den Archiven einer kleinen Universität in Masakan. Es wurde dort zusammengestellt, doch der Herausgeber verstarb, und es fand sich niemand, der es veröffentlichen wollte. Es enthält ein Holo von Leisha Tanner, abgeschickt von Millenium!«
Millenium – der letzte Eintrag in den Notizbüchern der Tanner.
Ich schob den Kristall in Jacobs Lesegerät und nahm im Wohnzimmer Platz.
Die Lampen wurden dunkler.
Das Bild der Tanner bildete sich. Sie trug eine leichte Bluse und Shorts, und es war offensichtlich, daß sie sich in einem warmen Klima aufhielt.
Wally, sagte sie, ich habe schlechte Nachrichten. Ihr Blick war betrübt, und sie wirkte verängstigt. Die Frau, die sich auf dem Platz auf Khaja Luan dem Mob gestellt hatte, mußte Schweres mitgemacht haben.
Wir hatten recht: Matt war nach dem Verlust der Straczynski hier. Aber die Dellacondaner versuchen, es zu verheimlichen. Ich habe mit ein paar Leuten gesprochen, die ihn kannten, und entweder wollen sie unter keinen Umständen über ihn sprechen, oder sie lügen. Sie mögen ihn nicht besonders, Wally, geben jedoch das Gegenteil vor. Ich habe mit einer Computerspezialistin gesprochen, mit einer Frau namens Moulin oder Mollin oder so ähnlich. Als ich sie endlich erwischte, hatte sie zu viel getrunken. Ich hatte mittlerweile herausbekommen, das Thema Matt niemals direkt anzuschneiden, denn in diesen Fällen geben sie vor, gar nichts zu wissen. So führte ich das Gespräch mit der Moulin allmählich zu dem Thema, daß wir einen gemeinsamen Freund hätten, der mir gegenüber ihren Namen zwei- oder dreimal erwähnt habe. Sie wirkte interessiert, doch als ich Matts Namen nannte, verlor sie völlig die Fassung und regte sich so sehr auf, daß sie ihr Glas zerbrach und sich an der Hand verletzte. Sie schrie buchstäblich, er sei ein Verräter, ein Hurensohn, und daß sie ihn gern umgebracht hätte, hätte sich ihr nur die Gelegenheit geboten. Ich habe noch nie solch einen Haß gesehen. Und dann, ganz plötzlich, als habe jemand auf einen Knopf gedrückt, hielt sie inne und wollte nichts mehr sagen.
Am nächsten Morgen spürte ich sie beim Frühstück auf, doch sie meinte nur, der Alkohol habe ihr die Sinne benebelt. Sie sagte, sie habe Matt gemocht, behauptete jedoch, ihn niemals richtig
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