Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
den Platz erreicht hatte.
Das Mikro blieb dort liegen.
Leisha nutzte ihren Vorteil aus. »Uns steht ein Krieg bevor«, sagte sie. »Wir haben uns noch nicht auf ihn eingelassen, doch dieser Augenblick ist nun wohl unausweichlich.« Ein paar Zuhörer brachen in Jubelrufe aus, doch sie erstarben schnell wieder. »In der Stadt gibt es heute zahlreiche Zusammenkünfte dieser Art. Und wir sollten einen Augenblick lang einhalten und bedenken …«
Irgendwo auf dem Platz ging eine Sirene los. Weiteres Jubelgeschrei.
»… bedenken, was es bedeutet. Dort draußen gibt es eine andere Spezies, die der unseren sehr ähnlich ist …«
Das brachte eine Reaktion hervor. Jemand schrie, sie seien uns gar nicht ähnlich; andere keiften, sie seien Wilde. Leisha stand einfach da und wartete darauf, daß sie ihr wieder zuhörten.
Als dies der Fall war, sagte sie kalt: »Sie können denken!«
Die Menge reagierte erneut. Ich suchte nach Hilfe und fragte mich, was ich tun würde, falls sie sie von der Bühne zerrten.
»Sie haben ein ethisches System«, fuhr sie fort. »Sie haben Universitäten, in denen sich Studenten zu Zusammenkünften wie dieser versammeln und Rache fordern!«
»Die haben sie heute genommen!« schrie jemand, und die Luft war auf einmal voller Drohungen, gegen die Ashiyyur, gegen die Universität, gegen Leisha.
»Ja.« Leisha war sichtlich bekümmert. »Das kann man sagen. Wir haben ein paar Schiffe und Mannschaften verloren. Und wie ich gehört habe, haben die Stummen ein paar Menschen auf der Planetenoberfläche erschossen. Und nun haben wir wiederum keine andere Wahl, als ebenfalls Blut zu vergießen.«
Der Mob schüttelte seine Fackeln.
»Hure!« rief jemand.
»Sie hat verdammt recht!«
»Es sind schon viele Menschen gestorben! Was ist mit denen?«
Ich kannte ihre Antwort darauf. Ich hatte sie schon zuvor gehört: Wir schulden den Toten nichts. Sie werden nicht wissen, ob wir beharren oder fliehen, ob wir ihre Namen ehren oder vergessen, daß sie jemals unter uns gewesen sind. Doch sie war klug genug, das nicht zu sagen.
»Es bleibt uns noch immer Zeit«, sagte sie, »das alles aufzuhalten, wenn wir es wirklich wollen. Oder wenn nicht, zumindest uns herauszuhalten. Warum bekommt der Widerstand keine Hilfe von Rimway? Oder Toxicon? Das sind die Systeme, die die Kampfflotten haben! Warum sind sie nicht gekommen, wenn die Ashiyyur wirklich eine Bedrohung für uns alle darstellen?«
»Ich will Ihnen sagen, warum nicht«, donnerte ein schwergewichtiger Mann, der einen Doktortitel in Klassischer Literaturwissenschaft anstrebte. »Sie wollen, daß wir uns verpflichten, ebenfalls einzugreifen. Wir befinden uns im Kampfgebiet, und warum sollten sie ihre Leute riskieren, wenn wir uns nicht einmal selbst helfen?«
Die Menge stimmte lauthals zu.
»Sie könnten recht haben«, sagte Leisha. »Aber die einfache Wahrheit ist, daß Rimway und Toxicon einander ein beträchtlich größeres Mißtrauen entgegenbringen als den Außerirdischen.«
Während des Wortgefechts war ich näher herangerückt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich je in meinem Leben mehr Angst empfunden habe als während dieser Augenblicke. Ich hatte ein paar Sicherheitsleute in der Menge ausgemacht, doch hätte dieser Mob sie angegriffen, hätten sie ihn auch nicht aufhalten können.
»Wenn ihr es wirklich ernst mit diesem Krieg meint«, fuhr sie fort, »müssen wir darüber sprechen, womit wir kämpfen können. Wie ich gehört habe, hat Khaja Luan einen Zerstörer.« Sie streckte die Hände vor und deutete mit einem Daumen nach oben. »Richtig, Leute. Ein Zerstörer. Und dann noch drei oder vier Fregatten, die vor mehr als einem Jahrhundert die letzten Kampfhandlungen gesehen haben. Und ein paar Shuttles, aber aus denen werden wir Steine werfen müssen, weil sie nicht bewaffnet sind. Wir haben nicht die Industrieeinrichtungen, Kriegsschiffe zu bauen, also werden wir sie von irgend jemandem kaufen müssen.
Wir werden während dieser Legislaturperiode eine beträchtliche Steuererhöhung vornehmen müssen. Und staatliche Stipendien abschaffen.« Sie hielt inne und warf einen Blick zurück auf die Gruppe von Leuten, die hinter ihr saßen. Der Bekannteste unter ihnen war Myron Marcusi von der Philosophischen Fakultät. »Ich bin sicher«, sagte sie und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, »daß Dr. Marcusi unter den ersten sein wird, der unter den Maßnahmen zu leiden hat, die wir ergreifen müssen, um das Geld aufzutreiben.«
»Verdammt
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