Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
den beiden war verblüffend.
»Kindrel war wohl etwas wild. Ihr gehörte eine Yacht, und sie hat jahrelang darauf gelebt. Unternahm lange Kreuzfahrten, manchmal allein, manchmal mit Freunden. Sie könnte ein Drogenproblem gehabt haben. Sie stand der Nichte sehr nah. Jina starb vier Jahre, nachdem diese Aufnahme gemacht wurde, aber es wird nicht erwähnt, daß sie an der Beerdigung teilgenommen hat. Das war 707, und es deutet darauf hin, daß sie sich zu dieser Zeit nicht mehr auf Ilyanda befand, wenngleich wir wissen, daß sie 706 noch hier war. Dadurch können wir das Datum ihres Aufbruchs ziemlich genau bestimmen.«
»Ja«, sagte ich. Ich rechnete die Daten in Standardzeit um und kam zum Schluß, daß Kindrel ihre Heimatwelt fast vierzig Jahre nach dem Angriff verlassen hatte. »Woher wissen Sie, daß sie 706 noch hier war?«
»Wir haben ein von ihr datiertes Dokument.«
»Was für ein Dokument?«
»Eine medizinische Bescheinigung«, sagte er eine Spur zu schnell.
»Hatte sie Kinder?«
» Ich weiß zumindest von keinen.«
Chase betrachtete die Frau im Holo: Kindrel in fortgeschrittenem Alter. »Sie haben recht«, sagte sie, an Lee gewandt.
»Womit?«
»Sie sieht aus, als habe sie schwere Zeiten hinter sich.«
Ja, dachte ich, allerdings. Nicht nur, daß sie älter geworden, ihre frühere Überschwenglichkeit verblichen war, nein, auch ihr Gesichtsausdruck war abweisend, gequält und müde geworden.
Chase stützte das Kinn mit der Faust ab und studierte das Bild. »In welchem Zusammenhang stand sie mit Matt Olander?«
Lees Ausdruck veränderte sich nicht, doch es erfolgte eine Reaktion: ein nervöses Zucken, ein kurzes Flackern in den Augen, irgend etwas. »Ich verstehe nicht ganz.«
»Mr. Lee.« Ich beugte mich vor und versuchte, eine ernste Miene aufzusetzen. »Wir wissen, daß Kindrel Matt Olander gekannt hat. Warum erzählen Sie uns nicht davon?«
Er sank tief in seinen Sessel, atmete aus und wandte seine Aufmerksamkeit dem Holo zu. Ich versuchte es mit entwaffnender Offenheit. »Ich will für die Information gern bezahlen«, sagte ich und nannte eine Summe, die ich für großzügig hielt.
»Wer sind Sie überhaupt?« fragte er. »Warum interessieren Sie sich dafür?«
»Wir sind Wissenschaftler von der Universität von Andiquar«, sagte ich. »Wir würden nur gern die Wahrheit erfahren. Sie müssen sich keine Sorgen machen, daß davon etwas an die Öffentlichkeit dringt.«
»Wissenschaftler haben nicht so viel Geld«, sagte er. »Was hat das alles zu bedeuten?«
So, wie er die Frage stellte, wußte ich einfach, daß er hatte, was wir suchten.
»Das Geld stammt aus einem Zuschuß der Regierung. Wenn Sie nicht interessiert sind, stehen uns andere Möglichkeiten offen.«
»Welche denn?«
Chase kniff die Augen zusammen. »Wir verschwenden hier nur unsere Zeit, Alex.«
»Nein.« Lee drückte auf das Kontrollgerät, und das Holo verblich. »Hören Sie, wollen Sie meine ehrliche Meinung darüber erfahren? Ich gebe sie Ihnen kostenlos.«
Wir warteten.
»Olander starb genau, wie alle es behaupten, und das, wonach Sie suchen, ist ein Schwindel.« Seine Augen waren klein und hart geworden.
»Ich kann das Geld sofort transferieren«, sagte ich. »Was ist das für ein Schwindel?«
»Ihr Angebot ist großzügig«, sagte er, »doch das ist nicht der Punkt. Ich will mich nicht zum Narren machen.«
»Das müssen Sie auch nicht befürchten«, sagte ich.
»Ich kann Ihnen direkt sagen, daß mir der Inhalt des Holos nicht gefällt und ich der Meinung bin, daß er nicht verbreitet werden sollte. Können Sie mir folgen?«
»Ja«, sagte ich. »Ich verstehe.«
»Es gibt eine Aussage von Kindrel. Ich sollte sie niemandem zeigen. Aber ich habe mich schon einmal dazu überreden lassen, und so spielt es vielleicht keine große Rolle, wenn ich sie auch Ihnen vorführe. Aber Sie sehen es sich hier an. Nichts davon geht aus dem Haus. Keine Kopien. Wenn Sie darauf bestehen, mir Geld zu geben, dann in bar. Ich will nicht, daß es Unterlagen darüber gibt.«
»Einverstanden«, sagte ich.
»Denn wenn irgend etwas davon herauskommt«, fuhr er fort, »werde ich es abstreiten. Ich werde alles abstreiten.«
Chase beugte sich hinüber und berührte seinen Arm. »Schon gut«, sagte sie. »Wir werden Ihnen keine Schwierigkeiten machen.« Sie verlagerte ihre Position und sah mich und dann wieder Lee an. »Wer war wegen dieses Dokuments schon hier?«
»Ein großer Mann. Dunkle Haut. Dunkle Augen.« Er beobachtete uns, ob
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