Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
Leiche dort unten, und die zahnärztlichen Unterlagen beweisen, daß es Olander ist.«
»Steht da auch, wie er gestorben ist?«
»Anscheinend nicht am Plasmatropf. Es gibt wohl Beweise, daß er von einem Laserstrahl getroffen wurde. Sie glauben, es sei eine kleine Handwaffe gewesen. Was einen Teil zu der Legende beigetragen hat.«
»Und der wäre?«
»Daß die Stummen einen Landetrupp heruntergeschickt haben, um ihn lebendig zu ergreifen.«
»Vielleicht wurde er gefaßt und hingerichtet.«
»Das wäre eindeutig eine Möglichkeit«, sagte Chase. »Aber die will hier niemand akzeptieren.«
»Warum nicht?«
»Weil sie nicht sehr heldenhaft ist. Hier wird allgemein die Vorstellung bevorzugt, Olander habe mit einer Impulswaffe auf dem Dach des Terminals gestanden, umgeben von toten Aliens, und geschossen, bis die Mistkerle ihn niedergemacht haben. Und wie wollen Sie sich die Inschrift erklären, wenn er sich ergeben hätte?«
»Sie schließt wohl auch einen Selbstmord aus. Na schön. Eine andere Frage: Hat sein direkter Vorgesetzter davon gewußt, daß er zurückbleiben wollte? Oder ist er einfach desertiert? Falls ja, könnte das einiges von dem erklären, was der Tanner solches Kopfzerbrechen bereitet hat.«
»Ich glaube nicht, daß Christopher Sim es jemandem gestattet hätte, zurückzubleiben, um zu sterben. Das klingt gar nicht nach ihm.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
Sie wirkte kurzzeitig verwirrt.
»Wir sprechen hier von Christopher Sim , Alex.« Unsere Blicke trafen sich, und sie fing an zu grinsen, schüttelte dann jedoch den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Ich glaube es nicht.«
»Ich auch nicht. Ich glaube, wenn wir herausfinden könnten, warum Olander nicht mit seinem Schiff abgeflogen ist, wären wir einen entscheidenden Schritt weitergekommen, um zu verstehen …« Ich zögerte.
»Was?« fragte Chase.
»Ich will verdammt sein, wenn ich das wüßte. Vielleicht kann Kindrel Lee es uns sagen.«
Wir mieteten auf dem Raumhafen einen Gleiter, trugen uns in dem Hotel in der Innenstadt ein, in dem wir reserviert hatten, und flogen nach Point Edward hinein, eine Stadt von bescheidener Größe aus gebranntem Lehm, Stein und Glas, errichtet auf einem erloschenen Vulkan.
Der erste Anblick war schockierend. Es gab keine breiten Straßen oder Einkaufspassagen; kein Netzwerk von Parks, das die oberen Etagen verband. Point Edward war eine Stadt mit deutlich voneinander abgegrenzten Einzelgebäuden, mit Betonung auf die Verblendungen, mit eckigen Bögen und Umwallungen und zahlreichen Statuen. Das Stadtzentrum war nach der Zerstörung von 677 wieder aufgebaut worden und wies einen einheitlichen architektonischen Stil auf. Der Reiseführer beschrieb ihn als Toxiconisch Gleichförmig. Sie müssen damals der Meinung gewesen sein, eine hervorragende Idee gehabt zu haben, doch das Ergebnis war eine Innenstadt von betäubender Stabilität und Nüchternheit, von scharfen Ecken und unbeweglicher Zweckmäßigkeit. Man führte hier ein Leben auf der Bodenebene, in einer Stadt, die wie eine Festung wirkte.
Als wir auf dem Dach unseres Hotels landeten, fragte ich mich, wieviel davon den Geisteszustand eines Volkes widerspiegelte, das mit knapper Not dem Feuer entronnen war.
Eine Stunde später klinkten wir uns von Chase’ Hotelzimmer aus ins Amt für Aufzeichnungen und Bevölkerungsstatistik ein. Unser Gesprächspartner war eine KI im Körper eines älteren Mannes mit einem grauschwarzen Vollbart und mitfühlenden blauen Augen.
»Es wäre leichter, wenn wir ihre Identifikationsnummer hätten«, sagte er.
»Tut mir leid«, murmelte ich. »Aber wie viele Menschen namens Kindrel Lee können schon in einem Ort mit einer Bevölkerung von vielleicht zwanzigtausend Menschen gelebt haben?«
»Mr. Benedict«, sagte er und tippte nachdenklich die Daten in sein Terminal ein. »Sie wissen natürlich, daß die Unterlagen 677 mit der Stadt verbrannt sind. Über die Zeit vor diesem Datum stehen uns kaum Informationen zur Verfügung.«
»Ja. Aber sie war noch nach dem Angriff hier. Muß noch hiergewesen sein, wenn die Tanner mit ihr sprach. Also könnte sie nach diesem Datum geheiratet haben. Oder sich um irgendeine Steuerbefreiung bemüht haben. Oder eine Anstellung bei der Regierung bekommen haben. Es müßte irgend etwas über sie geben.«
»Ja«, sagte er beipflichtend. »Ich bin überzeugt, daß wir etwas haben.« Er widmete sich seiner Aufgabe. »Sind Sie sicher, daß Sie den Namen richtig buchstabiert
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