Alex Benedict 04: Das Auge des Teufels
eine Meile vom Haus entfernt auf dem Parkplatz auf. Dort stiegen wir, zusammen mit ungefähr einem Dutzend anderer Leute, die alle angemessen bedrückt aussahen, in eine Limousine, die uns zu einem Landeplatz neben dem Haus flog, wo wir ausstiegen und von zwei Dienern über den gefrorenen Boden geleitet wurden. Die Vordertür öffnete sich, und wir stiegen die steinernen Stufen zu einem Säulengang empor und traten ein. Eine düster wirkende junge Frau begrüßte uns und dankte uns für unser Kommen.
Im Inneren des Hauses hatte sich bereits eine beachtliche Menschenmenge versammelt. Etwa zweihundert Leute schlenderten durch eine Ansammlung von Salons und strömten hinaus auf eine beheizte Terrasse. Cory tauchte auf und brachte eine frostige Begrüßung zustande. Wir spürten Vickis Herausgeberin auf, eine ältere Frau mit müden Augen und fest zusammengepresstem Mund, die den Eindruck machte, sie würde sich nie entspannen. Ihr Name war Marjorie Quick.
Alex drückte ihr sein Beileid aus und plauderte ein paar Minuten darüber, dass er ein begeisterter Leser von Vickis Werken sei und welch ein Verlust es doch sei. Sei es vielleicht möglich, dass noch ein weiteres Buch von ihr herauskomme?
»Nicht, dass ich wüsste«, erwiderte Marjorie Quick. »Sie hat sich bedauerlicherweise im letzten Jahr eine Auszeit genommen. Ist herumgereist. Hat sich amüsiert. Einfach mal ausgespannt.«
»Aber sie hat doch früher jedes Jahr ein Buch herausgebracht, nicht wahr?«
»Ja«, erwiderte sie. »Aber so etwas kann sehr erschöpfend sein.«
»Davon bin ich überzeugt.«
Sie konnte mit Alex’ Namen tatsächlich etwas anfangen. »Sind Sie nicht der Alex Benedict?«
Er gestand, ja, er sei derjenige welcher, und lenkte das Gespräch wieder auf Vicki. »Ich habe gelesen, sie sei nach Salud Afar gereist«, bemerkte er.
»Ja. Sie wollte einfach mal weg von allem.«
»Salud Afar – das ist weit weg! Sogar mit dem neuen Antrieb ist man einen Monat unterwegs. In eine Richtung!«
»Ich weiß. Aber sie wollte es so.« Sie fing an, sich nach einer Möglichkeit umzusehen, um uns zu entkommen.
»Sie sagten, sie habe nicht an einem Buch gearbeitet. Ich meine, eine so lange und weite Reise böte doch ideale Arbeitsbedingungen!«
»In Wahrheit hat sie eigentlich immer an einem Buch gearbeitet. Mehr oder weniger.«
»Haben Sie sie nach Ihrer Rückkehr noch einmal gesehen?«
»Nein. Ich habe sie schon seit acht oder neun Monaten nicht mehr gesehen.«
Ich hatte den Eindruck, dass sie versucht hatte, Vicki die Reise auszureden. »Vicki musste ihren Tank auffüllen, Mr Benedict. So einfach ist das.« Sie zupfte ihre Jacke zurecht. »Wäre es nicht so weit entfernt, dann wäre Salud Afar gewiss ein perfekter Ort für eine Horrorautorin auf Urlaubsreise.«
»Tatsächlich? Warum das?«
»Lesen Sie die Touristenbroschüren! Dort gibt es geheimnisvolle unterirdische Seen und Buchten, an denen Monster ans Ufer kommen und Gott weiß was noch!«
»Das ist nicht Ihr Ernst!«
»Natürlich nicht! Aber das sind die Geschichten, die man sich erzählt. Ich weiß, dass Vicki bereits im Frühjahr eine virtuelle Reise nach Salud Afar unternommen hat. Aber wenn man weiß, wie Autoren arbeiten, dann weiß man auch, dass das nicht reicht! Will man Horrorromane schreiben und die passende Atmosphäre erleben, ist Salud Afar der Ort der Wahl.«
Jemand hatte ein Bild von Vicki Greene in der Mitte des Gangs aufgebaut. Sie sah glücklich aus, strahlend, und sie hielt ein Kätzchen auf dem Schoß. Sie hätten natürlich auch einen Avatar einsetzen können. Viele Leute taten das. Man geht zu einer Beerdigung, und ein Replikat des Verstorbenen gibt noch einige letzte Gedanken zum Besten. Mir war das immer ziemlich unheimlich vorgekommen.
Hier hatte man sich mit einem Bild zufriedengegeben. Vicki war eine schöne Frau gewesen. Ich glaube, mir war nicht klar gewesen, wie schön sie war.
Gegen zehn Uhr strömten die Gäste allmählich in die große Halle. Sie war nicht groß genug, um allen Anwesenden bequem Platz zu bieten, also schlossen wir uns der Menge an, die die Vorgänge vom Korridor aus verfolgte. Exakt beim letzten Schlag der Glocke nahm jemand Platz und spielte Letztes Licht, der Presbyter erschien und die Gedenkfeier konnte beginnen.
Selbstverständlich haftete der Feier kein wirklich religiöses Element an. Gemäß sämtlichen Berichten waren Vicki und ihre Familie zwar durchaus gläubig, aber Vicki war eben nicht wirklich tot, und damit war dies
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