Alex Cross 05 - Wer Hat Angst Vorm Schattenmann
reichlich flau im Magen.
Ich streifte die Latex-Handschuhe über und beugte mich über die Leiche. Alter zwischen vierzehn und neunzehn. Die Kehle des Mädchens war von einem Ohr bis zum anderen aufgeschlitzt. Das Gesicht war übel zerschnitten, ebenso – und das war eigenartig – die Fußsohlen. Sie hatte mehr als ein Dutzend Einstiche in Brust und Unterbauch. Ich spreizte die Beine der Toten.
Und sah etwas, wovon mir übel wurde. Zwischen den Beinen war gerade noch ein Metallgriff zu sehen. Ich war ziemlich sicher, dass es der Griff eines Messers war und dass man ihr die Klinge in die Vagina gerammt hatte.
Sampson ging neben mir in die Hocke und schaute mich an.
»Was meinst du, Alex? Wieder so eine?«
Ich schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern. »Möglich, aber die hier ist drogensüchtig, John. Einstichspuren an Armen und Beinen. Wahrscheinlich auch in den Kniekehlen und Armbeugen. Unser Freund sucht sich für gewöhnlich keine Junkies aus. Er geht beim Sex auf Nummer sicher. Aber der Mord ist unglaublich brutal. Das passt zum Stil. Siehst du den Metallgriff?«
Sampson nickte. Ihm entging kaum etwas. »Und die Bekleidung?«, sagte er. »Wo, zum Teufel, sind ihre Klamotten? Wir müssen die Sachen von dem Mädchen finden.«
»Wahrscheinlich hat jemand aus der Gegend sie ihr ausgezogen und mitgehen lassen«, meinte der junge Polizist. »Der Erdboden um die Leiche herum war von mehreren Personen ziemlich zertrampelt. Aber so läuft’s hier nun mal. Keiner kümmert sich einen Dreck um irgendwas.«
» Wir sind hier«, sagte ich zu ihm. » Wir kümmern uns darum.
Wir sind für alle Jane Namenlos zuständig.«
G eoffrey Shafer war so glücklich, dass er es kaum vor seiner Familie verbergen konnte. Er musste sich zusammenreißen, um nicht laut zu jubeln, als er seine Frau Lucy auf die Wange küsste. Ein Hauch von Chanel No. 5 stieg ihm in die Nase. Er spürte die spröde Trockenheit ihrer Lippen, als er sie noch einmal küsste.
Wie Statuen standen sie in der großen eleganten Küche des weitläufigen Hauses im SüdstaatenStil in Kalorama. Lucy hatte die Kinder gerufen, dass sie sich von Daddy verabschiedeten.
Shafers Frau, eine geborene Rhys-Cousins, war aschblond, und ihre grünen Augen funkelten strahlender als der Schmuck von Bulgari und Spark, den sie stets trug. Lucy war zierlich und mit siebenunddreißig Jahren in gewisser Weise immer noch schön. Sie hatte zwei Jahre lang das Newnham College in Cambridge besucht, ehe sie Geoffrey Shafer geheiratet hatte.
Sie las Gedichte, für die sich niemand interessierte, und hochliterarische Romane, und verbrachte die meiste freie Zeit auf sinnlosen Luncheons, ging mit ihren ebenfalls aus England stammenden Freundinnen einkaufen, besuchte Polo-Matches oder segelte. Gelegentlich ging Shafer mit ihr zum Segeln.
Früher war er ein hervorragender Skipper gewesen.
Man hatte Lucy allgemein als einen Fang der Extraklasse betrachtet. Shafer vermutete, dass einige Männer sie auch heute noch so einschätzten. Nun, diese Burschen konnten Lucys flachen knochigen Hintern gern geschenkt haben – und so viel von ihrem leidenschaftslosen Sex, wie ihnen Spaß machte.
Shafer hob die vier Jahre alten Zwillinge Tricia und Erica hoch, jede auf einem Arm. Zwei Spiegelbilder ihrer Mutter. Er hätte die Zwillinge für eine Briefmarke verkauft. Doch als der gute Papa, als der er sich stets ausgab, umarmte er die Mädchen und lächelte.
Dann schüttelte er dem zwölfjährigen Robert förmlich die Hand. Im Haus wurde zurzeit darüber diskutiert, ob man Robert auf ein Internat nach England schicken sollte, vielleicht nach Winchester, wo schon sein Großvater gewesen war. Shafer salutierte zackig vor seinem Sohn. Früher war Geoffrey Shafer Offizier im Rang eines Colonels gewesen. Nur Robert schien sich jetzt noch an diesen Teil im Leben seines Vaters zu erinnern.
»Ich fliege ja nur für ein paar Tage nach London. Und es ist Arbeit , kein Urlaub. Ich habe nicht vor, die Abende im Athenaeum oder einem ähnlichen Etablissement zu verbringen«, erklärte er seiner Familie. Er lächelte jovial, wie alle es von ihm erwarteten.
»Aber mach auch mal eine Pause, Dad. Gönn dir etwas Spaß«, sagte Robert mit der eine Oktave tieferen Männerstimme, die er sich in letzter Zeit zugelegt hatte.
»Tschüss, Daddy! Tschüss, Daddy!«, riefen die Zwillinge mit hellen Stimmen und wie aus einem Munde. Shafer hätte sie am liebsten mit den Köpfen gegen die Wand
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