Alex Cross 05 - Wer Hat Angst Vorm Schattenmann
beste Spieler von allen.«
Wie um es zu beweisen, stach er auf sie ein.
ERSTES BUCH
DIE JANE-NAMENLOS-MORDE
A n diesem Tag lief alles prima. Es war ein drückend heißer Morgen, als ich einen leuchtend orangefarbenen Schulbus durch den Southeast-Distrikt lenkte. Beim Fahren pfiff ich leise ein paar Takte von Al Green. Ich holte sechzehn Jungs von zu Hause ab, darunter einige von zwei Pflegefamilien. Tür-zu-TürService. Kaum zu überbieten.
Erst vor einer Woche war ich aus Boston zurückgekommen, vom Mordfall Mr. Smith. Dieser Mr. Smith und ein geisteskranker Mörder namens Gary Soneji waren in den Fall verwikkelt. Ich brauchte eine Pause und hatte mir den Vormittag freigenommen, um zur Abwechslung mal etwas zu tun, das mir Freude machte.
Mein Partner, John Sampson, und der zwölfjährige Errol Mignault saßen im Bus hinter mir. John trug eine Wayfarer-Sonnenbrille, schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck: Sträflingshilfe – spendet noch heute! John ist gut zwei Meter groß und wiegt fast hundertzwanzig Kilo. Wir sind Freunde, seit ich im Alter von zehn Jahren nach Washington gezogen war.
John, Errol und ich unterhielten uns über Sugar Ray Robinson, die Boxlegende. Bei dem Lärm im Bus und den gelegentlichen Fehlzündungen mussten wir fast brüllen. Sam hatte seinen riesigen Arm um Errols Schultern gelegt. Körperkontakt ist sehr hilfreich beim Umgang mit diesen Jungen.
Endlich holten wir den letzten kleinen Burschen von unserer Liste ab, einen Achtjährigen, der in Benning Terrace wohnte, einem verrufenen Viertel, das einigen von uns auch als Simple City bekannt war, die Null-Problemo-Stadt .
Als wir aus dem Viertel herausfuhren, verkündeten sehr unschöne Graffiti den Besuchern alles, was sie über diese Gegend wissen mussten: Du verlässt jetzt das Kriegsgebiet. Du lebst nur noch, um davon berichten zu können.
Wir brachten die Jungen zum Lorton-Gefangnis in Virginia.
Sie sollten dort am Nachmittag ihre Väter besuchen. Alle Kinder waren jung, zwischen acht und dreizehn. Die Sträflingshilfe fährt jede Woche vierzig bis fünfzig Kids in verschiedene Gefängnisse, damit sie ihre Väter und Mütter besuchen können.
Das Ziel dieser Übung ist sehr hoch gesteckt: Sie soll helfen, die Verbrechensrate in Washington um ein Drittel zu senken.
Ich war schon öfter ins Lorton-Gefängnis gefahren, als ich mich erinnern wollte. Deshalb kannte ich die Direktorin ziemlich gut. Vor einigen Jahren hatte ich ein halbes Leben in diesem Knast verbracht, um Gary Soneji zu verhören.
Marion Campbell, die Direktorin, hatte uns auf Ebene eins einen großen Raum zur Verfügung gestellt, wo die Jungen ihre Väter treffen konnten. Es war ein überwältigender Anblick, noch mehr von Gefühlen bestimmt, als ich erwartet hatte. Die Sträflingshilfe bietet ein Ausbildungs-und Übungsprogramm für jene Väter, die daran teilnehmen wollen und das aus vier Schritten besteht: Wie zeige ich Liebe. Wie akzeptiere ich Schuld und Verantwortung. Wie erreiche ich Harmonie zwischen Eltern und Kind. Entdecke neue Anfänge.
Ironischerweise bemühten sich die Jungs, hartgesottener auszusehen und sich kaltschnäuziger zu geben, als sie tatsächlich waren. Ich hörte, wie einer von ihnen zu seinem Vater sagte: »Ich hab mein Leben bis jetzt ohne dich geführt. Warum soll ich nun auf dich hören?« Die Väter hingegen bemühten sich, eine weichere Seite zu zeigen.
Sampson und ich hatten diese Busfahrt nach Lorton noch nie zuvor gemacht. Es war das erste Mal für uns, aber ich war jetzt schon sicher, dass ich es wieder tun würde. In diesem Raum konnte man unglaublich intensive Gefühle, Hoffnungen und Sehnsüchte spüren, ein riesiges Potenzial für Gutes und Anständiges. Selbst wenn einiges sich nie erfüllte, so zeigte es doch, dass man sich bemühte, und das allein war schon die Sache wert.
Am meisten beeindruckte mich die starke Bindung, die immer noch zwischen vielen Vätern und ihren Jungen bestand.
Ich dachte an meinen eigenen Sohn Damon, und wie glücklich wir uns schätzen konnten. Die meisten Knackis in Lorton wussten, dass das, was sie getan hatten, falsch gewesen war.
Doch sie wussten einfach nicht, wie sie aufhören konnten.
Den größten Teil der anderthalb Stunden schlenderte ich umher und lauschte den Gesprächen. Ab und zu brauchte man mich als Psychologen, und ich gab mein Bestes. In einer kleinen Gruppe hörte ich die Stimme eines Vaters: »Bitte, sag deiner Mom, dass ich sie liebe und sehr, sehr
Weitere Kostenlose Bücher