Alex Cross 07 - Stunde der Rache
konnte es mir nicht leisten, umsonst zu arbeiten. Die meisten Weißen wollten keinen schwarzen Seelenklempner sehen. Deshalb bin ich zur Polizei gegangen. Nur vorübergehend. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es mir gefallen würde, aber nachdem ich mal angefangen hatte, wurde ich süchtig. Schlimm.«
»Was hat Sie süchtig gemacht, Polizist zu sein?«, wollte Jamilla wissen. Sie war eine gute interessierte Zuhörerin. »Erinnern Sie sich an irgendein besonderes Ereignis?«
»Ja, tatsächlich. Im Southeast von Washington, wo ich wohne und aufgewachsen bin, wurden zwei Männer erschossen. Die Akten wurden mit dem Vermerk ›im Zusammenhang mit Drogen‹ versehen, und das bedeutete, dass man nicht viel Zeit mit der Ermittlung vergeudete. Damals war das so – heute eigentlich immer noch.«
Jamilla nickte. »Ich fürchte, in Teilen San Franciscos auch. Wir halten unsere Stadt gern für aufgeklärt, aber viele Menschen schauen weg. Manchmal könnte ich kotzen.«
»Wie auch immer – ich kannte diese Männer und wusste, dass sie keine Drogen verkauften. Beide arbeiteten in einem kleinen Musikgeschäft. Vielleicht rauchten sie ab und zu mal ein bisschen Hasch, aber nichts Schlimmeres.« »Ich kenne die Typen, von denen Sie reden.«
»Deshalb habe ich bei diesen Morden auf eigene Faust weiter ermittelt. Ein Freund von mir, John Sampson, auch Detective, hat mir geholfen. Ich habe gelernt, auf meine Intuition zu vertrauen. Ich fand heraus, dass der eine Mann mit einer Frau ausging, von der ein örtlicher Dealer glaubte, sie gehöre ihm. Ich habe noch weiter gegraben, immer meinem Instinkt folgend,
und dann noch ein bisschen tiefer. Es stellte sich heraus, dass der Dealer die beiden Männer umgebracht hatte. Als ich diesen Fall gelöst hatte, war ich hoffnungslos verloren. Ich wusste, dass ich gut war, vielleicht wegen meiner langen psychologischen Ausbildung und weil ich immer für Gerechtigkeit war.« »Klingt, als hätten Sie gern ein bestimmtes Gleichgewicht im Leben. Die Kinder, Ihre Großmutter, Freunde«, sagte sie. Damit beließen wir es und gingen nicht auf das Offensichtliche ein, dass Jamilla und ich beide Singles waren, ohne eine feste Beziehung. Es hatte nichts mit unserer Arbeit zu tun. So einfach war es nicht.
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E ine angenehme Realität bei der Polizeiarbeit ist, dass man bei der Ermittlung in einem Mordfall selten in eine Situation gerät, die man noch nie erlebt oder von der man noch nie gehört hat. Aber diese Morde waren anders: scheinbar willkürlich, bestialisch, passierten seit elf Jahren, unterschiedliche modi operandi . Und besonders schwierig war, dass es sich womöglich um mehrere Mörder handelte.
Ich traf mich am nächsten Morgen mit Kyle, um den Fall durchzusprechen. Er war selten schlecht gelaunt, und ich konnte es nicht erwarten, wieder zu gehen. Wir tauschten unsere Lieblingstheorien und Klagen aus, dann übernahm ich mit Jamilla Hughes wieder die Observierung im Garden District. Ich hatte eine Schachtel Krispy Kremes mitgebracht, worüber sie und die FBI-Agenten, die das Haus beobachteten, hoch erfreut waren. Alle schrien nach den köstlichen Doughnuts. Die Schachtel war in wenigen Minuten leer.
»Sieht so aus, als wären die beiden richtige Heimchen am
Herd«, meinte Jam und biss von dem Doughnut mit Schokoladenüberzug ab.
»Es ist heller Tag. Wahrscheinlich liegen sie noch in ihren Särgen«, sagte ich.
Sie lächelte und schüttelte den Kopf. Ihre dunklen Augen funkelten. »Nicht ganz. Der Kleinere, Charles, hat den ganzen Vormittag im Garten gearbeitet. Er hat offenbar keine Angst vor der Sonne.«
»Dann ist vielleicht Daniel der richtige Vampir. Der Sire. Er soll die treibende Kraft hinter der magischen Nummer sein.« »Charles hat viel telefoniert. Er organisiert eine Party im Haus. Und das wird Sie umhauen – es ist ein Fetischball. Zieh deine abgefahrensten Lieblingsklamotten an: Leder, Gummi, Gruftie, viktorianisch – was auch immer. Worauf stehen Sie denn?«, fragte sie.
Ich lachte und dachte kurz nach. »Hauptsächlich Jeans, Cordsamt und ein bisschen schwarzes Leder. Ich habe einen Ledermantel. Er ist schon ziemlich schäbig, sieht aber immer noch beeindruckend aus.«
Jamilla lachte. »Ich glaube, Sie würden als mittelalterlicher Prinz hinreißend aussehen.«
»Und wie steht's bei Ihnen? Irgendwelche Fetische, von denen wir wissen sollten?«
»Na ja … ich bekenne, dass ich einige Lederjacken besitze, eine Hose und hohe Stiefel, die ich noch abbezahle.
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