Alex Cross 07 - Stunde der Rache
Grinsen auf seinem Gesicht war unglaublich arrogant. Es zeigte seine Verachtung für das Publikum ganz offen, aber die Menschen schienen es zu mögen, sie liebten ihn. Dann plötzlich eine Rauchwolke, wieder rang das Publikum nach Luft.
Daniel war wieder auf der Bühne. Er stand neben Charles und dem wunderschönen Pferd. Die Illusion war meisterhaft. Das Publikum sprang auf und klatschte wie wahnsinnig. Die Schreie und Pfiffe taten mir in den Ohren weh.
»Und das ist nur der Anfang«, verkündete Daniel. »Bis jetzt haben Sie noch gar nichts gesehen.«
Jamilla schaute mich an und zog die Mundwinkel nach unten. »Alex, diese Kerle sind gut, ich habe Siegfried und Roy gesehen. Aber warum treten sie in diesen kleinen Clubs auf? Warum verschwenden sie in so einem Laden ihre Zeit?«
»Weil sie das wollen«, antwortete ich. »Hier suchen sie sich ihre Opfer.«
62
J amilla und ich schauten uns an diesem Abend beide Shows an. Wir waren verblüfft über die Ruhe und Selbstsicherheit, die Daniel und Charles verströmten.
Nach der zweiten Show fuhren die Magier nach Hause. Die dort observierenden Agenten meldeten, dass es so aussähe, als würden sie den Rest der Nacht zu Hause bleiben. Ich verstand es nicht – und Jamilla auch nicht.
Gegen drei Uhr morgens kehrten wir schließlich ins Dauphine zurück. Zwei FBI-Teams blieben bis zum Morgen vor Daniels und Charles' Haus. Wir waren frustriert und verwirrt. Ein riesiges Aufgebot an Polizisten schuftete Tag und Nacht – ohne Ergebnis.
Ich wollte Jamilla noch auf ein Bier einladen, tat es aber nicht. Im Moment zu kompliziert. Vielleicht wurde ich mit zunehmendem Alter feiger. Oder weiser. Nein, Letzteres bestimmt nicht!
Um sechs Uhr war ich schon wieder auf und machte mir im Hotelzimmer Notizen. Ich lernte Neues, das ich nicht wissen wollte, und zwar nicht nur über Zaubertricks. Ich wusste jetzt, dass in der Vampir-Unterwelt die Umgebung des Hauptwohnsitzes des Sire, Regenten oder Älteren, als Domäne bezeichnet wurde. Das FBI und die Polizei von New Orleans observierten die Nachbarschaft im Garden District, wo Daniel Erickson und Charles Defoe lebten.
Das Haus stand an der LaSalle in der Nähe der Sixth Street. Es war aus Stein erbaut und hatte vermutlich zwanzig Räume. Diese herrschaftliche Villa stand auf einem Hügel und war von einer hohen Mauer umgeben wie eine Burg. Außerdem hatte sie einen riesigen, tiefen Keller, was im Sumpfboden der Gegend ohne den Hügel unmöglich gewesen wäre. Kein Mann der Spezialtruppe würde zugeben, dass er an Vampire glaubte, aber alle wussten,
dass eine Serie bestialischer Morde begangen worden war und dass Daniel und Charles die mutmaßlichen Killer waren. Jamilla und ich verbrachten die nächsten beiden Tage damit, die Villa und die Domäne zu observieren. Wir arbeiteten in Doppelschichten, nichts geschah, was die Langeweile vertrieb. Wenn ich observiere, denke ich manchmal an die Szene in The French Connection , wo Gene Hackman draußen in der Kälte steht, während die französischen Drogendealer ein Gala-Diner in einem New Yorker Restaurant genießen. Genau so ist die Realität, genau so – und manchmal sechzehn oder achtzehn Stunden am Stück.
Wenigstens boten die LaSalle Street und der Garden District einen schönen Anblick, Die Zucker- und Baumwollbarone hatten sich in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hier ein Zuhause aufgebaut. Die meisten hundert- oder zweihundertjährigen Herrschaftshäuser waren außerordentlich gut erhalten. Sie waren meist weiß, einige aber auch in mediterranen Pastellfarben. Plakate an den kunstvollen schmiedeeisernen Zäunen informierten über die »Besichtigungstouren«.
Ich saß zwar Seite an Seite mit Jamilla Hughes, aber es blieb eine öde Observierung.
63
W ährend der Observierung der LaSalle Street stellten wir fest, dass wir uns über fast alles unterhalten konnten. Damit vertrieben wir uns die langen Stunden.
Themen waren lustige Polizistengeschichten, Geldanlagen, Filme, gotische Architektur, Politik und persönliche Dinge wie Jamillas Vater, der abgehauen war, als sie sechs war. Ich erzählte ihr, dass meine Eltern beide jung an einer tödlichen Mischung von Alkohol und Lungenkrebs gestorben waren – wahrscheinlich auch an Depressionen und Hoffnungslosigkeit. »Zwei Jahre habe ich als Psychologe gearbeitet. Habe mein Schild rausgehängt«, erzählte ich ihr. »Damals konnten sich nicht viele Menschen in meiner Gegend in Washington eine Therapie leisten. Aber ich
Weitere Kostenlose Bücher