Alex Cross 8 - Mauer des Schweigens
blockte ihn ab. Gott sei Dank, war er zu besoffen, um richtig zuzuschlagen.
»Du hast Scheiß gebaut, Alex. Du hast Cooper sterben lassen!«, brüllte er mir ins Gesicht, als wir uns aufrappeln wollten.
Ich wollte ihn nicht schlagen, aber er war wie von Sinnen.
Seine Faust traf meine Wange. Ich ging zu Boden, als hätte ich keine Beine mehr. Benommen saß ich da, vor meinen Augen verschwamm alles.
Sampson riss mich hoch. Er keuchte und rang nach Luft.
Er wollte mich in einen Nelson nehmen. Gott, hatte er Kraft.
Wieder traf mich ein kurzer Schlag auf die Wange. Wieder ging ich zu Boden und rappelte mich erneut auf. Wir stöhnten beide. Mein Wangenknochen schmerzte teuflisch, dort, wo er mich erwischt hatte.
Er holte zu einem Rundschlag aus, der mich nur knapp verfehlte. Dann ein harter Schlag gegen meine Schulter, der verflucht wehtat. Ich wollte ihm ausweichen. Aber er war einen Kopf größer und fast vierzig Pfund schwerer als ich. Außerdem war er betrunken, wütend und völlig von Sinnen. So hatte ich ihn noch nie gesehen.
Voller Wut wollte Sampson wieder auf mich losgehen. Ich musste ihn ausschalten. Irgendwie. Aber wie?
Schließlich versetzte ich ihm einen Uppercut in den Magen, dann einen Schlag gegen die Wange. Blut. Ich schoss einen kurzen rechten Haken gegen das Kinn. Der hatte gesessen und tat mit Sicherheit weh.
»Aufhören! Sofort aufhören, ihr beide!«
Ich hörte die Stimme. »Alex! John! Hört auf, euch so schändlich zu benehmen. Aufhören, sofort!«
Nana zog uns auseinander. Sie hatte sich wie ein kleiner, aber entschlossener Schiedsrichter zwischen uns gezwängt. Das hatte sie früher schon getan, allerdings nicht mehr, seit wir zwölf waren.
Sampson richtete sich auf und schaute Nana an. »Tut mir Leid«, murmelte er. »Tut mir wirklich Leid, Nana.« Beschämt blickte er sie an.
Dann ging er auf unsicheren Beinen fort, ohne mich eines Wortes zu würdigen.
40
Ich ging am nächsten Morgen bereits kurz vor sechs Uhr zum Frühstück hinunter. Sampson saß da, aß Eier und sein Lieblingsporridge. Nana-Mama saß ihm gegenüber am Tisch. Wie in alten Zeiten.
Sie sprachen leise, als teilten sie ein Geheimnis, das niemand wissen sollte.
»Störe ich?«, fragte ich vom Gang aus.
»Ich glaube, wir haben uns ausgesprochen«, sagte Nana.
Sie bedeutete mir, mich an den Frühstückstisch zu setzen. Ich schenkte mir Kaffee ein, tunkte vier Scheiben Vollkorntoast hinein, dann setzte ich mich zu Nana und Sampson.
Vor John stand ein großes Glas Milch. Unwillkürlich erinnerte ich mich an die Zeiten, als wir noch Kinder gewesen waren.
Zwei-, dreimal pro Woche tauchte er morgens bei uns auf, um mit Nana und mir das Brot zu brechen. Wohin hätte er auch gehen können? Seine Eltern waren drogensüchtig. Nana war immer wie eine Mutter oder Großmutter für ihn gewesen. Er und ich waren wie Brüder, seit wir zehn Jahre alt gewesen waren. Deshalb machte mir die Schlägerei von gestern Nacht so große Sorgen.
»Lass mich reden, Nana«, sagte er.
Sie nickte und trank einen Schluck Tee. Ich weiß ziemlich genau, weshalb ich Psychologie als Beruf gewählt habe und wer mein ursprüngliches Rollenmodell war. Nana war immer der beste Seelenarzt, den ich je erlebt habe. Sie ist weise und meist einfühlsam, aber auch hart genug, um auf der Wahrheit zu bestehen. Außerdem kann sie hervorragend zuhören.
»Es tut mir Leid, Alex. Ich konnte gestern Nacht nicht schlagen. Ich fühle mich grauenvoll wegen dem, was passiert ist. Ich war völlig außer mir«, erklärte Sampson. Er schaute mir eindringlich in die Augen und zwang sich, nicht den Blick niederzuschlagen.
Nana betrachtete uns beide, als säßen Kain und Abel an ihrem Frühstückstisch.
»Ja, du warst völlig außer dir«, stimmte ich ihm zu. »Das ist richtig. Du warst total daneben. Wie viel hattest du denn getrunken, ehe du gekommen bist?«
»John hat gesagt, dass es ihm Leid tut«, mischte sich Nana ein.
»Nana.« Sampson blickte sie an, dann wieder mich. »Ellis Cooper war wie ein Bruder für mich. Ich komme über seine Hinrichtung nicht hinweg, Alex. In gewisser Hinsicht tut es mir Leid, dass ich hingefahren bin und zugeschaut habe. Er hat diese Frauen nicht umgebracht. Ich hatte geglaubt, du würdest ihn retten. Es ist allein meine Schuld. Ich hatte zu viel erwartet.«
Er hörte auf zu reden.
»Ich auch«, sagte ich. »Es tut mir Leid, dass wir nichts tun konnten. Aber ich möchte dir etwas zeigen. Komm mit nach oben. Jetzt geht es nur noch
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