Alex Cross 8 - Mauer des Schweigens
werden sie nicht. Wir werden sie erledigen. Sobald wir sie sehen, schießen wir los. Keine Warnung, Alex. Keine Gefangenen. Kapierst du, was ich sage?«
Ich kapierte. Es war ein Kampf auf Leben oder Tod. Es war Krieg, keine Polizeiarbeit. Und wir spielten nach den gleichen Regeln wie sie.
95
Plötzlich war es grauenvoll still. Beinahe so, als sei nichts geschehen, als seien wir ganz allein im Wald. In der Ferne hörte ich das Rauschen des Jacks River. Ein Eichhörnchen huschte den Stamm einer Buche hinauf.
Ansonsten rührte sich nichts. Jedenfalls nichts, das ich sehen konnte.
Unheimlich, gespenstisch.
Ich hatte ein selten mulmiges Gefühl – wir saßen in der Falle.
Sie wussten, dass wir sie hier erwischen wollten. Aber das hier war für sie ein Heimspiel, nicht für uns. Sampson hatte Recht, es war ein Krieg. Wir waren in der Kampfzone, hinter den feindlichen Linien, und uns erwartete ein Feuergefecht. Thomas Starkey führte das Kommando, und er war gut. Alle drei waren Profis.
»Ich glaube, die eine Frau bewegt sich«, sagte Sampson. »Ich werde mal nachsehen, Alex.«
»Wir gehen beide.« Aber Sampson verließ bereits die Deckung unter den Bäumen.
»John«, rief ich, aber er schaute nicht zurück.
Ich sah, wie er gebückt vorwärtsrannte. Sampson war schnell. Er war gut – im Krieg. Er war auch in Vietnam gewesen.
Er hatte die Hälfte des Wegs zu den Frauen hinter sich, als rechts aus dem Wald das Feuer eröffnet wurde.
Ich sah immer noch keinen Menschen, nur die Rauchwölkchen über den Bäumen.
Sampson wurde getroffen. Er fiel auf die Erde. Durch die Brombeerranken sah ich seine Beine und seinen Unterleib. Ein Bein zuckte. Dann nichts mehr.
Sampson bewegte sich nicht mehr.
Irgendwie musste ich zu ihm. Aber wie? Ich robbte zu einem anderen Baum. Ich hatte das Gefühl zu schweben, nicht in dieser Welt zu sein. Vollkommen unreal. Wieder Gewehrfeuer.
Die Kugeln prallten klirrend von den Steinen ab und schlugen in Bäume ein. Sie waren verdammt dicht bei mir. Das Feuer war heftig.
Ich sah die Rauchwolken aus den Gewehren rechts von mir.
Ich roch auch das Pulver in der Luft.
Mir dämmerte die Gewissheit, dass wir hier nicht lebend rauskommen würden. Ich sah Sampson da liegen. Er bewegte sich nicht. Nicht einmal ein Zucken. Ich konnte nicht zu ihm gelangen. Sie hatten mich in der Falle. Mein letzter Fall. Das hatte ich von Anfang an gesagt.
»John«, rief ich. »John! Kannst du mich hören?«
Ich wartete einige Sekunden, dann rief ich wieder. »John!
Bewege irgendwas, John.«
Bitte sag was. Bitte beweg dich.
Nichts.
Nur die nächste schwere Salve aus dem Wald.
96
Noch nie hatte ich eine solche explosive Wut gefühlt, aber auch noch nie eine derartige Angst. So war es im Krieg, dachte ich und bedachte die Ironie. Soldaten verloren ihre Kameraden im Krieg, und sie verloren ein bisschen den Verstand oder vielleicht völlig.
War das im An-Lao-Tal geschehen? In meinem Kopf war ein lautes Dröhnen, vor meinen Augen zuckten farbige Blitze. Alles um mich herum kam mir völlig surreal vor.
»John«, rief ich wieder. »Wenn du mich hören kannst, bewege etwas. Bewege ein Bein, John.«
Stirb nicht, John. Nicht so, nicht jetzt.
Er rührte sich nicht, reagierte nicht. Da war keinerlei Anzeichen, dass er noch lebte. Kein Zucken.
Nichts. Gar nichts.
Wieder kam Gewehrfeuer aus dem Wald, ich drückte mein Gesicht in die Erde, zwischen die Blätter.
Ich versuchte, nicht an Sampson zu denken. Wenn mir das nicht gelang, würde auch ich tot sein. Mir kam ein grauenvoller Gedanke wegen John und Billie. Ich unterdrückte ihn. Ich musste, sonst würde ich hier draußen mit Sicherheit sterben.
Das Problem war, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, wie ich drei Ranger hier draußen im Wald austricksen könnte, vor allem nicht, weil sie sich auf vertrautem Gelände befanden.
Das waren kampferprobte Veteranen aus dem Vietnamkrieg.
Sie riskierten nicht, mich jetzt anzugreifen. Sie würden warten, bis es dunkel wurde.
Das würde schon bald sein. Vielleicht in einer halben Stunde? Dann würde ich sterben, nicht wahr?
Ich lag hinter einer großen Schierlingstanne, und alle möglichen zusammenhanglosen Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Ich dachte an meine Kinder, wie unvorbereitet ich auf den Tod war, und dass ich sie nie Wiedersehen würde. Es hatte so viele Warnungen gegeben, so viele gefährliche Situationen, aber jetzt lag ich hier.
Ich schaute wieder zu Sampson – er hatte sich immer noch nicht
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