Alex Delaware 25 - Tödliche Lektion
Milo. »Sie war mit ihrem Freund dort, einem gewissen Sal Fidella.«
»Klingt wie ein Mafioso.«
»Er ist ein arbeitsloser Vertreter. Er und Elise haben in Reno einen Jackpot mit fünftausend Dollar gewonnen und am gleichen Tag wieder verloren.«
»Wie der Vater, so die Tochter«, sagte Sandra Stuehr. Ihre Mundwinkel zogen sich nach unten. »Ich kann nur hoffen, dass das letzten Endes nicht auch für mich gilt. Aber das kann ich wohl ausschließen.«
»Was können Sie uns sonst noch über Elise erzählen?«, fragte ich.
»Sie hat gern gelogen.«
»In welcher Hinsicht?«
»Eigentlich in jeder. Ich vermute, dass das mit ihm angefangen hat. Als sie um die zwölf war, begann sie, Krankheiten vorzutäuschen, vermutlich, um ihn von ihrem Bett fernzuhalten. Sie hat alle möglichen Sachen gemacht – den Finger in den Hals gesteckt und sich vollgespuckt, das Thermometer in heißes Wasser getaucht, die Haut mit einem Schmirgelschwamm gerubbelt, damit es so aussah, als hätte sie ein Ekzem, über Krämpfe geklagt. Sie hat aber auch gelogen, wenn es völlig sinnlos schien. Zum Beispiel hat sie das Lunchpaket nicht gegessen, das er für sie zubereitet hatte, ihm aber erzählt, dass es köstlich war. Oder andersherum – hat alles bis zum letzten Bissen vertilgt, ist aber heimgekommen und hat ihm gesagt, sie hätte ihren Lunch verloren und wäre hungrig. Ich nehme an, sie wollte das Gefühl haben, dass sie alles unter Kontrolle hat. Außerdem hat sie ihm fiese Streiche gespielt. Hat seine Hausschuhe versteckt oder seine Lesebrille irgendwo hingelegt, wo er sie nur schwer finden konnte. Einmal habe ich mitten in der Nacht aus meinem Schlafzimmerfenster geguckt und gesehen, wie sie die Luft aus einem seiner Autoreifen gelassen hat.«
»Wie alt war sie da?«
»Ein Teenager – fünfzehn vielleicht?«
»Haben Sie ihr gesagt, dass Sie sie gesehen haben?«
»Nie und nimmer, ich wollte doch, dass sie mich mag.«
»Hat sie noch jemanden außer ihrem Vater angelogen?«
»Klar«, sagte sie. »Sie hat in der Schule gespickt, hat alte Prüfungen gestohlen und sie verkauft. Ich weiß das nur, weil ein Junge, der eine gekauft hatte, vor seinem Freund damit angegeben hat. An diesem Abend habe ich Elises Schubladen durchsucht und ein Bündel Geldscheine gefunden. Ich habe es nicht gezählt, aber es sah so aus, als wäre es ziemlich viel. Sie wurde nie erwischt, bestand die Abschlussprüfungen mit Auszeichnung und bekam eine Belobigung für ihre guten charakterlichen Eigenschaften.«
»Ist Ihr Vater jemals dahintergekommen, dass sie ihm Streiche gespielt hat?«
»Niemals. In seinen Augen konnte Elise nichts falschmachen. Sie war eindeutig sein Liebling.«
»Zu ihrem Leidwesen«, sagte ich.
Sandra Stuehr wandte sich zu mir. Ihre Augen waren feucht. »Ob gut, schlecht, richtig oder falsch. Manchmal gerät alles durcheinander. Sind Sie sicher, dass sie nicht leiden musste?«
Die weiteren Fragen erbrachten nichts, und wir wollten gerade gehen, als es leise an der Haustür klopfte.
»Es ist offen, Schatz, komm rein«, rief Sandra Stuehr.
Der Mann, der hereinkam, war ein gut aussehender Asiate, Mitte zwanzig, mit kostspieliger Stachelfrisur. Er trug ein Nat-Nast-Bowlingshirt aus weißer Seide mit blauen Längsstreifen, dazu eine kobaltblaue Hose, von Hand genähte Deckschuhe und eine Rolex aus Rotgold.
Sie stand auf, nahm seine Hand und küsste ihn kurz auf den Mund. »Perfektes Timing, wir sind gerade fertig.«
Milo stellte sich vor.
»Will Kham.«
Sandra Stuehr sagte: »Dr. Will Kham, Facharzt für Rheumatologie am Cottage Hospital.«
Kham scharrte mit dem Fuß am Boden. »Ist schon gut, Sandy …«
»Will hat seit drei Tagen Bereitschaft und endlich einen Tag frei. Ihr habt sicher nichts dagegen, wenn wir jetzt aufbrechen.«
»Danke, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben, Ms. Stuehr«, sagte Milo. »Sagen Sie uns bitte Bescheid, wenn Ihnen noch etwas einfällt.«
»Natürlich«, sagte sie. Dann wandte sie sich an Kham. »Sie glauben, dass sie nicht leiden musste, Schatz.«
»Das ist gut«, sagte Kham.
Als wir die Tür schlossen, sagte sie: »Ich dachte ans San Ysidro Inn, Schatz, der neue Küchenchef dort ist fantastisch.«
17
Milo überflog den Zeitungsausschnitt über den Mord an Cyrus Freeman, dann schob er ihn wieder in die Hülle. »Nicht mehr als das, was uns Sandy gerade erzählt hat.« Er schnippte die Hülle auf den Rücksitz und warf einen Blick auf seine Timex. »Vier Stunden Fahrt
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