Alex Delaware 25 - Tödliche Lektion
für eine Schwester, die nichts weiß.«
»Sie hat uns trotzdem eine Menge erzählt«, sagte ich.
»Weil Elise Daddy umgebracht haben könnte? Vielleicht, Alex, aber eigentlich interessiert mich das nicht die Bohne.«
»Ich meine vielmehr, dass sich Elise frühzeitig das Lügen angewöhnt hat, als Überlebensstrategie. Eine Krankheit vorzutäuschen, um nicht vergewaltigt zu werden, war so gut wie jeder andere Trick, aber so etwas bleibt nie ohne Folgen. Dazu passen auch die chronischen Depressionen oder das Trinken, genauso wie die Tatsache, dass sie Sex benutzte, um jemanden zu beherrschen, und sich mit einem Schwindler wie Fidella einließ. Das Gleiche gilt für das Aushecken eines Erpressungsplans, bei dem es ebenfalls um Sex ging. Aber richtig interessant finde ich, dass sie in der Mittelschule Prüfungsaufgaben verkauft hat. So was könnte sich in einem Laden wie der Windsor als nützlich erweisen.«
Entlang des Strands herrschte stockender Verkehr. An der State Street standen wir lange an einer roten Ampel. Noch mehr Touristen, jede Menge Straßenmaler und ein paar Obdachlose, die im Gras hockten und Kritiker spielten.
Milo sagte: »Sie verhökert Examensprüfungen und versucht dann, die Einnahmen mit einer kleinen Erpressung aufzustocken?«
»Wenn man dabei an den Falschen gerät, könnte das gefährlich werden.«
»Na großartig. Selbst wenn ich die Vergewaltigung mal beiseitelasse, komme ich nicht an der verdammten Schule vorbei.«
Er schloss die Augen und legte den Kopf an die Sitzlehne. »Die beste Möglichkeit rauszufinden, ob sie zusätzliche Knete abgegriffen hat, sind die gottverdammten Finanzauskünfte.«
Ein paar Anrufe später lächelte er. »Die Unterlagen sind unterwegs, und ihre Telefonaufzeichnungen liegen auf meinem Schreibtisch. Was hältst du davon, dass Elise Sal mit einem jungen Typen betrügt und Sandra ihren Mann wegen einem jungen Kerl verlassen hat? Wollen sie sich damit irgendwie symbolisch von ihrem alten Herrn distanzieren?«
»Könnte sein«, sagte ich. »Oder sie stehen einfach mehr auf junge Männer.«
»Und für diese umwerfende Erkenntnis brauche ich einen Freund mit Doktortitel?«
Nachmittags um halb vier waren wir wieder in seinem Büro.
Links neben seinem Computer lag ein loser Stapel Papiere. Er wühlte darin herum, zerknüllte und warf interne Memos weg, dazu zahllose Mitteilungsblätter von Stadt- und Bezirksverwaltung, für die die Steuerzahler zahlen, ohne sie jemals zu lesen.
Weit unten im Stapel lagen die Kontoauszüge der Wachovia Bank aus den vergangenen achtzehn Monaten und die Unterlagen über Elise Freemans Telefonate in den letzten sechzig Tagen.
Die Finanzpapiere entlockten Milo fast augenblicklich einen Ausruf des Erstaunens. Neunzigtausend und ein paar Zerquetschte auf einem Sparkonto, der Großteil davon im Laufe der letzten drei Jahre in unregelmäßigen Abständen eingezahlt, insgesamt sechzehn Abbuchungen zu je fünftausend Dollar.
»Das ist zwar kein riesiges Vermögen, aber doch eine stattliche Summe für eine Lehrerin, die dreißigtausend im Jahr verdient«, sagte er. »Fragt sich nur, was man sich an der Windsor für fünf Riesen kaufen kann.«
Er wandte sich den Telefonunterlagen zu und strich sie mit zwei Filzmarkern an. Gelb, rosa, rosa, rosa, gelb. Das Endergebnis war ein buntes Zebra: zweiunddreißig gelbe Striche für Sal Fidellas 818er Vorwahl, siebzehnmal rosa für jemanden, der die Vorwahl 626 hatte. Der Rest war uninteressant.
»Pasadena«, sagte er. Er wählte die Nummer, hörte zu, bekam große Augen und legte auf. »Technische Hochschule von Kalifornien, irgendein Labor für chemische Verfahrenstechnik. Zurzeit sind alle außer Haus – jagen wahrscheinlich irgendwas in die Luft –, aber hinterlassen Sie Ihren Namen, bla bla bla.«
»Nichts liegt mir ferner, als ein Klischee zu reiten«, sagte ich, »aber Elises junger Freund hatte ein Fülleretui in der Tasche.«
»Mr. Halbstreber.« Er fand die Webseite des California Institute of Technology und klickte den Fachbereich chemische Verfahrenstechnik an. Die einzigen Biografien, die dort aufgeführt waren, stammten von Angehörigen des Professorenkollegiums, aber nach ein paar weiteren Klicks stieß er auf eine Präsentation, die vor zwei Monaten stattgefunden hatte. Fünf Doktoranden hatten in einer kurzen Zusammenfassung über ihre Forschungsprojekte berichtet. Keine Fotos.
Ellen Choi, Vladimir Bobrosky, Tremaine Franck, Mitchell Yamaguchi, Arlen Arabian
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