Alex Rider 08: Crocodile Tears
er jedes Schloss aufmachen konnte, und rannten an der Tür vorbei. Seine Augen tränten und der Stickstoff kratzte ihn im Hals. Wenn er ihn in einem geschlossenen Raum ausgeschüttet hätte, hätte er sich selbst umgebracht. Er wäre erstickt, weil der Stickstoff den Sauerstoff verdrängt hätte.
Durch die Tür gelangte er in eine kahle Halle mit Wänden aus Schlackenbeton. Vor ihm stand kalt und stumm eine Batterie von Öfen, die nicht in Betrieb waren. Eine Wendeltreppe aus Metall führte in den Stock darüber. Alex war enttäuscht. Er hatte mehr erwartet – ein Versteck oder eine Fluchtmöglichkeit. Nach kurzem Zögern entschied er sich für die Treppe. Er würde zum Dach hinaufsteigen. In den Taschenrechner, den Smithers ihm gegeben hatte, war ein Kommunikationssystem eingebaut. Damit konnte er den MI6 rufen. Hoffentlich kam die Hilfe noch rechtzeitig.
Die Treppe führte sechs Stockwerke hinauf. Oben gelangte Alex zu einer Metalltür mit einer altmodischen Druckstange. Im selben Augenblick hörte er, wie die Eingangstür des Gebäudes unter ihm krachend aufgestoßen wurde. Die Wachleute hatten entdeckt, wohin er geflohen war. Panik erfasste ihn. Jeder Fluchtweg schien abgeschnitten. Was sollte er tun? Die Feuerleiter benutzen? Hinabsteigen und ein anderes Versteck suchen?
Leider gab es keine Feuerleiter.
Alex war durch die Tür gerannt und hatte sie hinter sich zufallen lassen. Er stand auf einem großen, asphaltierten Flachdach. Vor ihm ragte ein silberner Kamin ungefähr fünfzehn Meter in die Höhe. Durch ihn sollte wahrscheinlich der Rauch der Öfen entweichen, die Alex unten gesehen hatte. Außerdem befanden sich auf dem Dach noch zwei Kästen einer Klimaanlage und ein Wassertank. Mehr nicht. Entlang der Dachkante verlief eine niedrige Ziegelmauer. Das Nachbarhaus war etwa zehn Meter entfernt – zu weit zum Springen. Das Gebäude, auf dem Alex stand, war sechs Stockwerke hoch und hatte keine Feuerleiter. Alex saß in der Falle.
Vor seinem geistigen Auge sah er die Wachen die Treppe hinaufstürmen. Er musste sie aufhalten. Neben dem Wassertank lagen einige von Bauarbeiten übrig gebliebene Gerüststangen. Er hob zwei davon auf, kehrte zur Tür zurück und klemmte sie unter den Griff. Dadurch verschaffte er sich wenigstens etwas Zeit.
Trotzdem war er für seine Verfolger eine leichte Beute. Er hatte ihnen geradezu in die Hände gespielt. Sie konnten ihn theoretisch die ganze Nacht hier oben sitzen lassen und ihn dann nach Belieben abknallen. Wo waren seine Klassenkameraden? Alex rannte zum Rand des Daches und blieb an der Brüstung stehen. Und da sah er sie endlich.
Der Bus parkte am hinteren Ende der Einfahrt. Anscheinend war der Besuch vorzeitig beendet worden, denn die Schüler stiegen bereits wieder ein. Er sah Tom Harris und James Hale in ein Gespräch vertieft neben der Tür und hörte einige Mädchen lachen. Kaum zu glauben, dass sie überhaupt nicht mitbekommen hatten, was während ihrer Besichtigungstour in Greenfields passiert war. Und da standen auch M r Gilbert und Miss Barry. Alex versuchte sie durch Rufe auf sich aufmerksam zu machen, doch sie waren zu weit weg und er war vom Stickstoff noch ganz heiser. Er konnte nur hilflos mit ansehen, wie die Tür zuging und seine Freunde im Bus einschloss.
Alex drehte sich um und blickte in die andere Richtung. Straik wollte die Klasse unbedingt so schnell wie möglich loswerden. Das Eingangstor glitt bereits auf. Alex konnte nur hoffen, dass die Anwesenheit der Schüler noch einmal überprüft wurde. Dadurch verzögerte sich die Abfahrt womöglich um ein paar Minuten. Waren sie erst weggefahren, saß er ganz allein hier fest.
Er überlegte fieberhaft. Der Bus würde direkt unter ihm vorbeifahren. Konnte er springen? Nein. Dazu war das Gebäude viel zu hoch. Selbst wenn er im richtigen Moment absprang und auf dem Dach des Busses landete, würde er sich Arme und Beine und wahrscheinlich auch das Genick brechen. Konnte er den Fahrer durch Winken auf sich aufmerksam machen? Unmöglich. Der Mann würde ihn so hoch auf dem Dach nicht sehen.
Er hörte Fäuste gegen die Metalltür schlagen. Die Wachleute waren am oberen Ende der Treppe angekommen. Nur noch eine einzige, durch zwei Metallstangen blockierte Tür hielt sie zurück. Verzweifelt lief Alex auf dem Dach hin und her. Nirgends eine Leiter oder ein Seil. Dann hörte er, wie der Motor des Busses angelassen wurde. Er parkte etwa dreißig Meter vom Eingangstor entfernt, das bereits offen stand.
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