Alex Rider 08: Crocodile Tears
meines Lebens. Wie ich es liebte, wenn meine Faust in das Gesicht eines Gegners schlug, wenn ich Blut sah. Und gewann! Einmal schlug ich einen Mann bewusstlos. Im ersten Moment glaubte ich, ich hätte ihn getötet. Ein wunderbares Gefühl.
Aber wie gesagt, der Traum endete abrupt. Mein Manager ließ mich fallen, die Presse, die mich hofiert hatte, vergaß mich. Ohne Geld und ohne Arbeit kehrte ich nach London zurück. Ich musste wieder bei meinen Pflegeeltern einziehen, die mich gar nicht wollten. Schließlich war ich kein kleiner Junge mehr, dem sie helfen konnten, sondern ein erwachsener Mann. In ihrem Leben war für mich kein Platz.
Mein Pflegevater verschaffte mir eine Anstellung in einem Immobilienbüro und so kam es, dass ich mich auf einmal in vermögenden Kreisen bewegte. Ich hatte fast auf Anhieb Erfolg. Ich verkehrte gern mit Immobilienmaklern. In dieser Branche konnte man damals rasch Geld verdienen. Ich begann Karriere zu machen und man wurde auf mich aufmerksam. Ein erfolgreicher Schwarzer fällt in Großbritannien unweigerlich auf. Je besser es lief, desto mehr Geschäftsleute wollten mit mir gesehen werden und taten so, als seien sie meine Freunde. Ich wurde zum Essen eingeladen und galt als Persönlichkeit, was ich auch meinem kurzen Ruhm im Boxring zu verdanken hatte.
Ich spendete der konservativen Partei eine größere Summe und wurde daraufhin gefragt, ob ich für das Parlament kandidieren wollte. Ich erklärte mich dazu bereit und wurde gewählt, obwohl der Sitz seit Menschengedenken immer an die Labour Party gegangen war. Ein Erfolg zieht den anderen nach sich. Ich wurde Staatssekretär im Sportministerium. Ich saß oft auf der Terrasse vor dem Unterhaus und trank mit dem Premierminister Champagner. Das ganze Kabinett kam zu meinen Weihnachtspartys, die für ihren guten Wein und ihre Käsemakkaroni berühmt waren. Ich hielt überall im Land Reden. Und dank meines Immobilienimperiums wurde ich immer reicher. Ich weiß noch, wie ich meinen ersten Rolls-Royce kaufte. Damals hatte ich nicht einmal einen Führerschein – aber das war mir egal. Am Tag darauf stellte ich einen Chauffeur ein. Als ich dreißig war, arbeiteten bereits ein Dutzend Leute für mich.«
Er spreizte die Finger. »Und dann ging wieder alles schief.«
»Sie kamen wegen Betrugs ins Gefängnis.«
»Ja. Ist es nicht erstaunlich, wie schnell die Menschen sich von jemandem abwenden, den sie eben noch bewundert haben? Die britische Öffentlichkeit ließ mich fallen wie eine heiße Kartoffel. Ich wurde aus dem Parlament geworfen. Journalisten überschütteten mich mit Häme. Sie waren genauso schlimm wie meine früheren Klassenkameraden. Im Gefängnis wurde ich so oft verprügelt, dass im Krankenhaus schon ein Bett für mich reserviert war. Andere Männer in meiner Lage hätten ihrem Leben ein Ende gesetzt, Alex – sogar ich war einige Male versucht, mir den Kopf an einer Betonwand einzuschlagen. Doch ich habe es nicht gemacht, denn ich plante bereits mein Comeback. Ich wusste, ich konnte die Schmach auf dem mir vorbestimmten Weg in einen Vorteil verwandeln.«
»Sie sind nie wirklich Christ geworden«, sagte Alex. »Sie haben nur so getan.«
McCain lachte. »Natürlich! Ich habe die Bibel gelesen. Ich habe mich stundenlang mit dem Gefängnispfarrer unterhalten, einem engstirnigen Idioten, der nicht weiter sehen konnte als bis zum Ende seines steifen Kragens. Ich habe einen Kurs im Internet belegt und mich zum Priester weihen lassen. Reverend Desmond McCain! Es war alles nur Augenwäscherei, aber notwendig. Ich hatte mir meine nächsten Schritte genau überlegt. Ich wollte wieder reich werden. Noch viel reicher als zuvor.«
Alex hatte das meiste von seinem Essen übrig gelassen. Ein Wachmann trat an den Tisch, räumte die Teller ab und nahm auch McCains halb volle Schüssel mit. Ein anderer brachte einen Korb mit Obst. Ein kurzes Schweigen folgte. Alex lauschte auf die nächtlichen Geräusche: das leise Gluckern des Flusses, das endlose Rascheln des Unterholzes und den gelegentlichen Schrei eines Tieres in der Ferne. Er saß unter freiem Himmel mitten in Afrika! Und aß mit einem Verrückten zu Abend. Denn eines wusste er sicher: McCain mochte es noch so schwer gehabt haben, was ihm zugestoßen war, hatte weder mit seiner Herkunft noch mit seiner Hautfarbe zu tun. Er war von Anfang an ein Psychopath gewesen.
»So kam ich zur Wohltätigkeit«, sagte McCain. »Ein kluger Mensch hat sie einmal wie folgt definiert: Sie bestehe
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