Alex Rider 5: Scorpia: Alex Riders fünfter Fall
andere, eine Schlinge zwischen den Füßen. Im Sportunterricht in der Schule hatte er das schon oft gemacht, aber hier war es plötzlich etwas ganz anderes.
Der Ballon stieg unaufhaltsam in die Höhe. Die heiße Luft in der Stoffhülle wog genau einundzwanzig Gramm pro Kubikfuß. Die kühlere Luft außerhalb wog ungefähr achtundzwanzig Gramm. Das war die bestechend simple Arithmetik, die den Ballon fliegen ließ. Und Alex flog mit ihm. Hätte er nach unten geschaut, hätte er den Erdboden gut fünfzig Meter unter sich gesehen. Er schaute aber wohlweislich nicht nach unten. Denn auch das war anders als im Sportunterricht: Wenn er hier abstürzte, würde er sterben.
Aber die Plattform über ihm war jetzt keine zehn Meter mehr entfernt. Das große Rechteck blockierte fast den ganzen Himmel. Die Flamme des Brenners darüber erhitzte noch immer die Luft in der blau-weißen Hülle des Ballons. Alex’ Schultern und Arme taten weh. Sein Körper schmerzte bei jeder Bewegung, seine Handgelenke fühlten sich an, als würden sie zerrissen. Wieder hörte er eine Explosion und einen Feuerstoß aus einer Maschinenpistole. Er fragte sich, ob die Soldaten etwa auf ihn schossen. Wenn sie den Ballon gesehen hatte n – und sie mussten ihn ja wohl gesehen habe n –, würden sie ihn herunterholen wollen, egal um welchen Preis. Was zählte schon sein Leben im Vergleich zu den Tausenden, die sterben würden, wenn die Schüsseln hundert Meter Höhe erreichten und zu senden anfingen?
Der Gedanke verlieh ihm neue Kräfte. Falls ihn, solange er an dem Seil hing, eine verirrte Kugel treffen sollte, würde er abstürzen. Auch aus diesem Grund musste er so schnell wie möglich auf die Plattform gelangen. Er biss die Zähne zusammen und zog sich hoch.
Fünfundsechzig Meter, sechsundsechzi g … Der Ballon war nicht mehr aufzuhalten. Aber die Strecke zwischen Alex und seinem Ziel wurde immer kürzer. Es gab eine dritte Explosion, und er riskierte einen Blick nach unten. Und wünschte gleich, er hätte es nicht getan. Er schwebte sehr hoch über dem Boden, und die Spezialeinheiten sahen aus wie Spielzeugsoldaten. Er sah sie auf der Straße, die zur Kirche führte, in Position gehen, um das Hauptportal zu stürmen. In den Läden links und rechts lauerten die Scorpia-Leute. Die Explosion, die Alex gerade gehört hatte, stammte offenbar von einer Handgranate.
Aber die Schlacht da unten interessierte ihn nicht. Er hatte noch etwas anderes gesehen, und das machte ihm wirklich Angst. An dem anderen Seil kletterte jemand empor, und die weißen Flecke im Gesicht dieses Mannes waren nicht zu verkennen. Nile. Er bewegte sich allerdings nur langsam, als sei er sehr erschöpft. Das überraschte Alex. Schließlich wusste er, wie fit und kräftig Nile war. Er sah, wie sich die Muskeln unter seinem Hemd spannten, als er mit einer Hand über sich griff. Alex musste die Schüsseln unbrauchbar machen, bevor Nile ihn erreicht hatte. Gegen ihn hätte er keine Chance.
Plötzlich schlug etwas an seine Hand, und er schrie auf. Er war, ohne Nile aus den Augen zu lassen, weiter nach oben geklettert und hatte gar nicht bemerkt, dass er endlich bei der Plattform angekommen war. Er hatte sich am unteren Rand einer der Schüsseln die Knöchel gestoßen. Alex überlegte kurz, ob er das verfluchte Ding nicht einfach packen und herunterreißen, es fallen und am Boden zerschellen lassen könnte. Aber dann sah er, dass die Schüsseln solide mit Metallklammern befestigt waren. Er musste eine andere Möglichkeit finden.
Und das hieß zunächst einmal, dass er auf die Plattform klettern musste. Keine leichte Aufgabe, und doch musste er schnell sein, um möglichst viel Zeit zu haben, ehe Nile bei ihm auftauchte.
Er lehnte sich nach hinten und ließ das Seil mit einer Hand los. Sein Magen krampfte sich zusammen, und er dachte schon, er würde es nicht schaffen und abstürzen. Dann aber schwang er sich hoch und bekam das Geländer zu fassen, das rings um die Plattform lief. Mit letzter Kraft zog er sich hinauf. Dabei schlug er mit dem Knie an eine Propangasflasche. Während der grelle Schmerz allmählich nachließ, versuchte er sich einen Plan zurechtzulegen.
Er sah sich den Ballon genauer an.
Knapp einen Meter über seinem Kopf hingen zwei Propangasflaschen, die über dicke schwarze Gummi- oder Plastikschläuche die Flamme des Brenners am Leben hielten. Ob die Flamme ausgehen würde, wenn er die Schläuche herauszog? Ob der Ballon dann sinken oder ob die heiße Luft in der
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