Alexa, die Amazone – Die große Chance
rechts und links des Weges, ob vielleicht doch noch irgendwo saftiges Gras oder vergessene Äpfel zu finden sind. Eine Hand hat Alexa in Chicolos dichter Mähne vergraben und träumt so ein bisschen vor sich hin, sieht sich ohne Sattel und barfuss über Sommerwiesen jagen, meint fast, den warmen Sommerwind zu spüren und die Blumenwiesen zu riechen. Sehnsüchtig seufzt sie kurz auf, muss dann aber gleich darauf über sich selbst lachen. So ein Quatsch, an einem solch wichtigen Tag über Sommerwiesen nachzudenken.
Die Hufe der Pferde klappern auf dem Steinboden im Hof. Alexa gleitet von Chicolos Rücken, öffnet die Stalltür und passt dann auf, dass die Pferde einzeln hineingehen. Amparo will drängeln, aber Alexa hält sie ab. Schließlich sind sie alle, einer nach dem anderen, getrennt in ihren Boxen verschwunden. Alexa geht hinterher und prüft, ob jeder sein Hafer-Kraftfutter-Gemisch erhalten hat und ob auch sonst alles in Ordnung ist.
»Alexa!« Der Schrei lässt Alexa zusammenfahren. Das war Kurts Stimme. Das kann nichts Gutes bedeuten. Sie läuft aus Chicolos Box zum Stalltor. Wieder schallt der Ruf quer über den Hof. Alexa schließt die Stalltür hastig hinter sich. Da sieht sie Kurt, dessen Silhouette sich in der Dunkelheit scherenschnittartig vor der hell erleuchteten Verandatür abzeichnet. »Alexa, kommst du mal eben her?«
So hat er noch nie nach mir geschrien, fährt ihr durch den Kopf. Sicher ist er furchtbar wütend auf mich. Also sind die Turniere geplatzt!
Sie läuft auf ihn zu.
»Bin schon da!«
Alexa steht vor Kurt, kann seine Gesichtszüge aber nicht erkennen, weil er die Lichtquelle im Rücken hat. Dafür ist Alexa voll der Helligkeit ausgesetzt, all ihre Bewegungen und ihr Mienenspiel sind ihm gnadenlos preisgegeben. Die ungleiche Voraussetzung macht sie unsicher. Bezweckt Kurt etwas damit oder ist es nur Zufall?
»Ich glaube, wir haben etwas miteinander zu besprechen«, erklärt Kurt mit dunkler Stimme. Wenigstens spricht er noch mit mir – dann kann es nicht ganz so schlimm sein, denkt Alexa. Da spürt sie schon Kurts Arm, der sich um ihre Schulter legt und sie sanft zur Verandatür hinschiebt. Sie atmet auf. Harald steht abwartend am Kamin. Alexa kann aus seiner Miene nichts lesen. Sein Blick ist freundlich – wie immer.
»Komm, setz dich, Alexa!« Kurt schiebt ihr einen Sessel an das Kaminfeuer. Dann setzt er sich ebenfalls in einen der mächtigen Ledersessel. Harald geht zur Bar. Alexa hört Glas klirren.
»Hoffentlich bist du mir nicht allzu böse ...« Alexa muss einfach ihr schlechtes Gewissen loswerden.
»Nun, ihr bohrt da in einer alten Wunde, das wisst ihr ja selbst.«
Alexa senkt beschämt den Kopf. Sie wünscht sich, sie hätte das Thema nie aufgegriffen.
»Aber eure Einstellung kann ich natürlich auch verstehen«, fährt Kurt fort.
Aus den Augenwinkeln blickt Alexa zu ihm hinüber. Kurt schaut nachdenklich in das rot züngelnde Flammenspiel.
»Chicolo ist Charismas Sohn. Und ich möchte ihn nicht in das Schicksal seiner Mutter treiben. Der Ehrgeiz der Reiter ist der Tod der Pferde. Das wissen wir drei gut genug.«
Betretene Stille liegt im Raum.
Alexa fängt plötzlich an zu frieren.
»Deshalb, Alexa, haben wir beschlossen, die ganze Angelegenheiterst einmal sorgfältig zu prüfen, bevor wir die Pferde scheu machen.« Kurt hat die Stimme erhoben und fixiert Alexa mit entschlossenem Blick.
»Bevor du mit Chicolo auf Turniere gehst und der ganze Zauber beginnt, musst du ganz genau wissen, ob du das überhaupt durchhalten willst und kannst. Deshalb hat sich Harald dazu bereit erklärt, dich in seiner Reitschule erst einmal auf das vorzubereiten, was im Fall des Falles auf dich zukommen wird.«
»Ich fahre also mit Harald?«
»Nur wenn du willst!«
»Und Chicolo im Pferdehänger, oder wie?«
»Chicolo bleibt hier. Harald stellt dir eines seiner Pferde zur Verfügung.«
»Tatsächlich? Ich werd verrückt!«
»Stell dir das aber nicht so leicht vor.« Harald reicht Alexa ein Glas Orangensaft und setzt sich auf den Fußboden nahe am Feuer. »Ich werde schonungslos mit dir umgehen, so wie ich es mit den anderen jungen Turnierreitern auch tue. Du hast dann immer noch die Möglichkeit, Nein zu sagen.«
»Ja, das ist doch prima. Ich werde mich testen. Aber, Onkel Kurt, was ist mit den Pferden hier? Wer soll sie reiten?«
»Flavio kommt bald zurück. Er kann sich ja mal draufsetzen. Und mit Chicolo werde ich abends ausreiten. Frische Luft kann nicht
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