Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
schnelle Bewegungen gehabt haben. Und viele Sammler und Übermittler von Nachrichten. Und sehr viele Staatsdiener für die Verteilung und Aufsicht.«
Er setzte sich und reichte Aristoteles die Rolle. Hephaistion zwinkerte und lächelte ihm zu; Ptolemaios und Krateros pfiffen durch die Zähne.
Aristoteles schwieg einen Moment; schließlich sagte er halblaut: » Sehr gut, sehr überzeugend, Alexander. Wir dürfen aber natürlich nicht vergessen, daß Xenophon in seiner Schrift über die Erziehung des Kyros das Bild eines idealen Herrschers entwirft, wie wir Hellenen ihn uns vorstellen. Weder wußte Xenophon viel über den wirklichen Kyros, noch ist es möglich, daß je ein Barbarenkönig das war, was wir uns als Herrscher wünschen würden. Und folglich…«
Alexander erhob sich. » Mit deiner Erlaubnis…«
Aristoteles nickte.
Alexander räusperte sich. » Wenn es unser gleißendes Mittags-Denken ist, im Gegensatz zum Zwielicht-Glauben der Barbaren… wenn es das ist, was uns überlegen macht und ein Streben nach Tugend erst erlaubt– warum haben denn all diese Völker Persiens so lange tugendhaft in Frieden miteinander gelebt, während wir, die wir doch so überlegen sind, ewig tugendlos Krieg miteinander führen?«
Aristoteles verzog das Gesicht, aber seiner Stimme war kein Unwille anzuhören. » Du selbst hast deine Frage bereits mit der Fragestellung beantwortet, Alexander. Es ist eben jenes helle Licht der Vernunft, das uns Unterschiede wahrnehmen läßt. Die Völker Persiens sind umnachtet und unterwürfig, zur Wahrung des Friedens gezwungen. Wir, als freie Menschen, lassen uns nicht zwingen. Sie leben ruhig wie Vieh in einer Herde, wir… ziehen den Streit vor. Vielleicht lernen wir andere Formen des Zusammenseins, wenn die Welt älter geworden ist, aber du darfst niemals vergessen, daß wahre Harmonie von innen kommen muß, als Ergebnis der Tugend; nicht von außen, als Ergebnis fremder Gewalt.«
Im Winter wurden die Felder um Beroia zu unendlichen Schlammwüsten. Koinos und die anderen Unterführer liebten das Flachland in dieser Jahreszeit, ebenso die älteren Kämpfer der Festung, weil es die beste Gelegenheit war, die Fürstensöhne Dreck fressen zu lassen.
» Ein Vorzug von Philipps Heer ist die Schnelligkeit«, sagte Koinos spöttisch. Es war Abend, der Himmel grauschwarz, ein paar Schneeflocken vermischten sich mit dem kalten Regen, der den Blick auf die Berge verwehrte und die Welt zu Morast und zischenden Hölzern machte, die nicht brennen wollten. » Wir sind schneller als die anderen hellenischen Heere, weil wir fast immer auf den Troß verzichten können. Wir können auf ihn verzichten, weil unsere tapferen, harten, ruhmreichen Kämpfer, zu denen ihr bald gehören werdet, alles selber tragen, was sie brauchen könnten. Waffen, Rüstung, Vorräte, Schaufeln, Schanzgerät. Dreckig seid ihr, Jungs; und eure Waffen werden rostig und schartig, wenn ihr sie nicht pflegt. Was war das denn schon, heute? Hundertfünfzig Stadien seit dem Frühstück.«
» Seit welchem Frühstück?« Leonnatos ähnelte einem Köhler, der seinen Meiler in einem Lehmloch unterhält. Das kurze Schwert war schlammbedeckt, die Beinschienen nicht zu sehen, der mit Bronzeplättchen besetzte Brustpanzer wie der Bauch eines Käfers, den man aus einer Pfütze fischt.
» Wer fragt nach Frühstück, wenn er mit erprobten Kämpfern des Königs die Mühen und Freuden teilen darf?« Koinos grinste. » Da es euch nicht gelingt, Feuer zu machen, solltet ihr andere Möglichkeiten finden, euch zu wärmen. Ich werde nun ein köstliches Abendmahl zu mir nehmen– zwei Hände voller Körner, im Regen aufgequollen, langsam gekaut. Wenn ich damit fertig bin, will ich euch angetreten sehen, mit sauberen Waffen und Rüstungen. Alexander, sei so gut und reinige deine und meine Sachen.«
Der Schlammpfuhl, der ihnen als Nachtlager dienen sollte, war im Sommer eine Rinderweide. Es gab kein Feuer; Zelte waren nicht vorgesehen, die Verwendung von Decken eher fraglich, da sie als Unterlagen für die Packstücke dienen mußten. Jeder trug etwas mehr als die Hälfte seines eigenen Gewichts, zusätzlich zu Waffen und Panzern. Am Rand der Morastwiese lagen ein paar Felsen, irgendwann von den Göttern oder einem Erdrutsch dort abgeworfen. Auf einem der Felsen saß Kleitos der Schwarze, ebenso verdreckt wie alle anderen; aber im zunehmenden Dunkel leuchteten die Metallteile seiner Ausrüstung.
Koinos nahm sich die angetretenen Kämpfer vor. Seine
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