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Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Titel: Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Dann kam Alexanders Einwand: leise, mit verhaltenem Feuer, scheinbar unbeteiligt.
    » Der wissende Betrachter kann das sagen– Herakleitos, oder Aristoteles. Der Fluß weiß es nicht, denn er hat kein Bewußtsein. Der Mensch, der hineinsteigt, weiß es vielleicht, beim zweitenmal. Aber was, wenn der Mensch, der in den Fluß steigt, nicht weiß, wer er ist? Wenn er keine Seele hat und kein Bewußtsein?«
    Kassandros gähnte laut und murmelte etwas über seelenlose Königssöhne, die jeder anständige Fluß ausspeien sollte; Aristoteles blinzelt und nahm sie in der Wandelhalle mit auf einen Gang durch die Lehre vom Sein und die Fragen der Identität und die Rätsel des Logos, der in dem Einen ebenso ist wie in den Vielen und dem Ganzen, weshalb die Sinne dem einzelnen die Anwesenheit des Logos andeuten können, dessen Bedeutung die Vernunft erschließen mag. Kassandros setzte sich an eine Säule und döste; die anderen folgten wie gefesselt den Reden und Gegenreden, Fragen und Gegenfragen, windungsreich wie der Lauf des Maiandros und ebenso zielstrebig wie jener Fluß, der am Ende doch ins Meer mündet. Es war, als ob der Philosoph und sein Schüler einen Schaukampf austrügen, mit scharfen Schwertern föchten.
    Die Ankunft der Gruppe, die die letzten zehn Tage in der Festung verbracht hatte, beendete das Ringen. Aristoteles legte Alexander beide Hände auf die Schultern, küßte seine Stirn und entließ die Jungen.
    Koinos brachte einige Briefrollen – von Antipatros an Aristoteles, von Antipatros an Kassandros, von Vätern oder Müttern an die Söhne, vom König an den Lehrer, von Philipp an Alexander, kurz und sachlich; von Olympias, ebenso kurz und ohne jedes Gefühl.
    Alexander fehlte beim Mittagsmahl; er war in den Wald gerannt. Hephaistion suchte und fand ihn, immer noch rennend, springend, als müßte er Energie ablassen wie ein übervoller Schlauch Wasser. Er stürzte sich mit einem Schrei auf Hephaistion; sie begannen zu ringen, bis sie erschöpft waren und nur noch keuchen konnten. Hephaistion setzte sich mühsam auf und lehnte sich gegen den Stamm eines Baumes; Alexander lag auf dem Rücken und starrte hinauf in die Äste, die wispernden Blätter, die trägen dünnen weißen Wolken. Er murmelte etwas.
    » Was sagst du?«
    Alexander schloß die Augen, nur einen Moment. » Wer ist ich? Wer bin Alexander?«
    Hephaistion seufzte. » Die Leere? Immer noch? Oder schon wieder?«
    » Immer. Als ob… jemand alles aus mir herausgesaugt hätte.«
    Hephaistion klackte mit der Zunge. » Denkst du wieder an diese arabischen Geister? Schläfst du deshalb so schlecht?«
    Alexander murmelte mit zusammengebissenen Zähnen: » Ich hasse Schlaf. Etwas geschieht nachts mit uns, was wir nicht beherrschen können. Ich will es nicht.« Er lachte gepreßt. » Wer bist du, Hephaistion?«
    » Dein Freund.«
    Alexander versuchte zu lächeln. » Ich weiß. Das ist mehr, als ich verlangen kann. Aber reicht es dir?«
    Hephaistion legte die Hand auf Alexanders Stirn. » He, was ist los? Kalter Schweiß.«
    » Ich friere, Freund. Warum gibt es so wenig Wärme?«
    Hephaistion schaute auf die geknickte Briefrolle, die in Alexanders Gürtel steckte. » An deiner Stelle würde ich mich das auch fragen. Ich habe gesehen, daß meine Eltern… zärtlich zueinander waren.«
    » Meine führen immer nur Krieg. Gegeneinander. Gegen alles.«
    » Ja. Also. Was…« Er fuchtelte mit der Rechten in der Luft, als wären Wörter Mücken; dann lächelte er traurig und streckte die Hand aus. Alexander ergriff sie.
    » Nachts… Wenn ich nicht doch schlafe, frage ich mich, was zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang mit der Sonne geschieht. Könnte sie nicht eines Tages einfach wegbleiben? Oder eine andere sein? Ist es vielleicht jeden Tag eine andere Sonne? Bist du sicher, daß du morgens der Hephaistion bist, der sich abends niedergelegt hat?«
    » Ich glaube, Helios ist irgendwie… außerhalb. Über allem, jenseits von all dem hier. Die Welt ist eine Kugel– oder eine Scheibe, wie andere sagen. Und die Sonne ist ein riesiger göttlicher Feuerball, der von Ost nach West über den Himmel rollt und nachts wieder zurück, unter der Scheibe– oder Kugel.«
    » Wie sieht die Unterseite aus? Wie sieht unsere Unterseite aus, nachts? Welche Ungeheuer hocken auf der Unterseite und warten darauf, daß die Sonne von Westen nach Osten über sie hinwegzieht?«
    Hephaistion zögerte; sein Daumen streichelte sanft, wie selbständig Alexanders Handrücken. » Du

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