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Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Titel: Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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meinst nicht die Sonne, oder?«
    » Ich meine, vielleicht ist das hier, du, der Wald, Aristoteles, Olympias, Philipp, vielleicht ist das alles in Wahrheit die Unterseite. Und die richtige Welt, in der ich mein Glied der Göttin opfern und Schlangen töten muß, ist so furchtbar, daß wir uns nicht an sie erinnern wollen, wenn wir hier sind.«
    » Vielleicht ist sie herrlich, und wir sehnen uns nach ihr, ohne es zu wissen. Der Elysische Garten unserer Nachtseite.«
    » Das wüßte ich– oder würde es ahnen. Dann hätte ich nicht diese… Furcht vorm Schlafen.« Er ließ Hephaistions Hand los und rollte sich auf den Bauch. » Ob die Leute am Rand der Welt wissen, wie es an der Unterseite aussieht? Ob man vom Rand der Welt zur Unterseite hinabsteigen kann?«
    Hephaistion hob die Schultern.
    » Meinst du, wenn wir nach Osten gingen, weit, weit nach Osten, dorthin, wo die Sonne herkommt– ob die Menschen, die da leben, mehr über die Wärme wissen? Wie man Wärme gewinnt?«
    Hephaistion wiegte den Kopf. » Dann müßten die Leute fern im Westen alles über Kälte wissen.«
    Alexander lachte grimmig. » Meine Mutter ist aus dem Westen, aus Epeiros. Sie weiß viele kalte Dinge.«
    An einem der heißesten Tage des Sommers streiften sie mit Aristoteles und Philippos dem Arzt durch den Wald, immer bergauf, um Heilpflanzen zu suchen. Alle trugen Körbe und Lederflaschen mit Wasser. Die Luft, dick und süß, schien zu stehen; Myriaden Bienen füllten die Welt mit Gedröhn, bis kein Platz mehr für Worte oder Atem blieb.
    Auf einer Lichtung nahe dem Gipfel kniete Aristoteles im Gras, rupfte einige breite Blätter und hielt sie hoch.
    » Wie ich euch oft gesagt habe, ist es nicht gut, Theorien aufzustellen, große Weltbegriffe zu entwickeln, ehe man Tatsachen gesammelt hat. Viele Heiler, nicht zu reden von Philosophen, verfahren so– sie teilen die Natur auf in die Bereiche der vier Elemente und denken dann tiefe Gedanken über die Beziehungen zwischen Feuer, Feuerblumen und Feuerkrankheiten. Natürlich ist das viel leichter, als die wirklichen Eigenschaften der Dinge herauszufinden. Die Eigenschaften der Pflanzen, zum Beispiel. Dies hier ist saurer Ampfer; es gibt viele Arten davon. Ihr kennt die Pflanze; viele von euch haben die Blätter gekostet; sie sind säuerlich und frisch. Man kann sie auch auflegen, wenn ein Skorpion einen gestochen hat. Sie helfen, das Gift aus der Wunde zu ziehen. Die Samen, in Wein eingenommen, sind gut gegen allerlei Durchfallkrankheiten.«
    Auf der anderen Seite des Berges hatten vor Jahren Feuer und Sturm den Wald vernichtet; hier gab es nur den Himmel, wenige Steine, Gesträuch und Moos. Aristoteles warf die Beeren fort, über deren Schädlichkeit er sich lange geäußert hatte, kniete nieder und deutete auf einen dichtbewachsenen Flecken neben einer verstruppten Senke.
    » Thymian, meine Freunde. Wilder Bergthymian, dessen Tugenden noch nicht durch Gartenzucht verzärtelt sind. Man nimmt ihn, um Speisen zu würzen; man kann ihn aber auch in Weinessig kochen oder in Rosenwasser und auf Stirn und Schläfen verreiben, wenn der Kopf schmerzt. Wir werden ein wenig damit spielen, wenn wir wieder unten sind.«
    Später, in einem Nebental, in dem Wermut wuchs: » Vier oder fünf Wermutsamen stillen jedes Nasenbluten… Ich wünschte…« Er rieb sich die Augen, legte den Kopf in den Nacken und starrte in den Himmel. » Ah, es gibt so vieles… In fernen Ländern muß es Tausende heilsamer Pflanzen geben, von denen wir nichts wissen. Wenn je einer von euch dorthin gelangt…«
    An einem kühlen Herbstnachmittag saßen sie auf dem Platz, um den Brunnen. Hephaistion hockte auf dem Brunnenrand und las aus einer dicken Rolle vor; Aristoteles lehnte neben ihm, zu seinen Füßen, das Gesicht den anderen zugewandt.
    »› Er herrschte über diese Völker, obwohl sie nicht die gleiche Sprache redeten wie er und jedes Volk eine eigene Sprache hatte; dennoch vermochte er ein so weitläufiges Gebiet mit der Furcht zu überziehen, die er einflößte, daß er alle Männer mit Schrecken füllte und keiner ihm zu widerstehen suchte; und in allen konnte er ein so lebhaftes Begehren wecken, ihm zu gefallen, daß sie immer von seinem Willen gelenkt sein wollten.‹«
    Aristoteles berührte Hephaistions Knie. » Gut gelesen. Nun laßt uns dies einen Moment erwägen. Enthalten die Worte, die wir gehört haben, wahrhaft Wissenswertes? Sie behandeln einen Herrscher, seine Staatskunst und seine Kriegführung– aber erfahren

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