Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
Athener auf dich ziehen, die wahrscheinlich gar nicht angreifen sollen. Parmenion hält die Mitte. Ich werde angreifen– gegen die Heilige Schar, die selbst angreifen soll. So?«
Philipps Finger bogen sich endlich, drückten, bohrten sich in die Schultermuskeln. » Du der Hammer, Parmenion der Arm, ich der Amboß. So sei es. Aufbruch!«
Alexander hielt ihn fest. » Ich danke dir, König der Makedonen. Du und Parmenion, ihr habt das Schwert geschmiedet; ich bin stolz, es führen zu dürfen.«
» Die Mitte geradehalten, wie?« knurrte Parmenion. » Wenn wir Athener wären, würde ich es nicht wagen, aber mit unseren Leuten… Guter Plan, alter Freund.« Er grinste und wandte sich zum Gehen. Über die Schulter sagte er: » Und wer zählt die Knochen?«
Das Geplänkel der Leichtbewaffneten in den Hügeln hatte bereits begonnen. Weit rechts, am Fluß, marschierte die heilige Blüte der Thebaner. Demosthenes fand sich plötzlich neben Demades, als die Athener ihr Lager verließen. Vor ihnen, neben ihnen, hinter ihnen Tausende Landsleute; durch die Lücken, die noch zu schließen waren, sahen sie weit voraus die furchtbare Phalanx des makedonischen Haupttreffens. Sie wußten, daß es Tausende waren, sechzehn Reihen tief gestaffelt; sie wußten, daß nur die ersten drei Reihen die langen Sarissen ausgerichtet halten würden, sobald es losging. Aber es war wie eine von Eisen und Tod starrende Wand.
» Der Boden ist feucht.« Demades blickte zu den Seiten, dann wieder nach vorn, wo die schrägen Strahlen der Morgensonne auf den Spitzen der makedonischen Sarissen glitzerten.
» Sehr aufregend. Und?«
Demades warf ihm einen Seitenblick zu. » Kein Staub; wir werden alles sehen können. Nämlich nichts, sobald wir dran sind. Und wenn die Sonne höher steht, gibt es den nächsten kleinen Nebel.«
Sie waren langsamer gegangen; ein athenischer Unterführer rempelte sie von hinten an. » Los, los, aufschließen.« Dann erkannte er die Männer. » Um Vergebung– aber…«
Demosthenes öffnete den Mund, Demades kam ihm zuvor.
» Deine Pflicht, ich weiß. Wir gehorchen, wie jeder gute waffenfähige Bürger.«
Demosthenes knurrte etwas über Demokratie. Es klickte. Er blieb stehen, nahm die Kiesel aus dem Mund, betrachtete sie mißmutig und steckte sie in den Beutel, den er unter dem Brustschutz trug.
Demades grinste. » Du solltest sie im Mund lassen. Sonst verstehen die Makedonen dich nicht, wenn du um Gnade bittest.«
Demosthenes verzog das Gesicht. Schweigend gingen sie weiter. Vor ihnen schlossen sich die Reihen und Glieder. Sie befanden sich fast in der Mitte der Aufstellung; nicht weit rechts von ihnen richteten sich die boiotischen Bundesgenossen aus. Irgendwer bei ihnen sang, zwei oder drei Stimmen fielen ein– ein Spottlied auf jemanden, vielleicht einen Herrscher, alt und seit Jahrzehnten immer wieder abgeändert. Weiter vorn flehte jemand mit flackernder Stimme die Götter an, ihm Tugend, Ruhm und Tod zu gewähren; die Stimme brach mit einem erstickten Schluchzlaut ab. Es roch nach Tausenden von Männern, die lange marschiert waren und in schmierigen Decken geschlafen hatten, ohne sich waschen zu können. Es roch nach Schweiß, nach Eisen, nach Angst.
Der Unterführer war weitergegangen; nun stand er neben einem Mann, der sich wand, zur Seite und nach vorn beugte und dann würgend übergab. Dabei stieß er hohe quiekende Laute aus. Der Helm, noch nicht festgebunden, rutschte vom Kopf und fiel in die Lache. Der kurze Chiton unter dem Brustschutz war verfärbt; eine bräunliche Flüssigkeit rann die Beine hinab.
Der Unterführer stieß ihn an. Der Mann raffte sich auf, bückte sich nach seinem Helm und ließ die Stoßlanze fallen. Irgendwie gelang es ihm, mit seltsam verrenkten Gliedern den Helm zu halten, die Lanze aufzuheben und das Schwert mit dem Ellenbogen tiefer in den Gürtel zu schieben.
» Zuviel Wein«, sagte er heiser. » Götter– zuviel Wein.« Er richtete sich auf, nickte, als der Unterführer leise etwas sagte, band den Helm fest und ging nach vorn.
» Ein tapferer Mann«, murmelte Demades. » Viel tapferer als mancher, der mit einem Lied und einem Lachen in den Kampf zieht. Wer die Furcht besiegt, kann auch den Feind besiegen. Wer keine Furcht kennt, ist wahrscheinlich nur dumm.«
Demosthenes zischelte. » Warum muß ich ausgerechnet neben dir stehen und mir so etwas anhören?«
Demades tippte mit der Spitze seiner Lanze an seinen Kesselhelm. Er war schlicht, ohne jeden Schmuck; der von
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