Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
Verhältnis mit Ihrer … mit der Frau, mit der Sie jetzt zusammenleben?«
»Verhältnis? Sind Sie bescheuert?«
»Wie nennen Sie es, wenn ein Mann mit einer Frau die Wohnung teilt?«
»Leona ist nicht mein Betthupferl, Sie Arschgesicht, sondern mein Kindermädchen! Wobei mir die erste Variante tausendmal lieber wäre. Sie putzt mir den Hintern ab, wenn ich scheißen muss. Sie wäscht mich und bekocht mich, und demnächst wird sie mich auch noch füttern müssen. Und bevor Sie sich die Mühe machen, beim Finanzamt anzurufen: Sie ist eine Illegale, ja. Kommt aus Kasachstan, das tapfere Mädchen. Legales Pflegepersonal kann ich mir nämlich nicht leisten. Kann Muriel sich nicht leisten, um genau zu sein.«
Plötzlich fiel mir wieder ein Stück des gestrigen Abends ein: René, mit dem ich offenbar seit Neuestem per Du war, hatte allen Ernstes den Standpunkt vertreten, der Gesellschaft und dem Staat entstehe durch diese Art von Schwarzarbeit kein Schaden, sondern sogar ein Vorteil. Seine Begründung war mir allerdings entfallen.
»Ihre Frau finanziert das alles hier? Obwohl Sie sie verlassen haben?«
»Verlassen?«, brüllte er mit plötzlich hochrotem Kopf. »Wie kommen Sie denn auf …?« Den Rest verschluckte ein Orkan von Hustenanfall, der ihn minutenlang schüttelte.
»Sie wohnen nicht mehr bei Ihrer Frau.« Es fiel mir merkwürdig leicht, den todkranken Mann zu quälen. »Wie würden Sie das nennen?«
Mit bebenden Händen steckte er sich eine Zigarette in den Mund. Beim Versuch, sie anzuzünden, fiel ihm das Feuerzeug zu Boden. Als ich Anstalten machte, es aufzuheben, trat er nach mir. Ich ließ es liegen. Von einer Sekunde auf die andere wechselte seine Stimmung von Wut in Niedergeschlagenheit. Eine Weile starrte er seine breiten, ehemals so tatkräftigen Hände an, die jetzt wieder reglos in seinem Schoß lagen.
»Können Sie sich vorstellen, wie sich das anfühlt, wenn ein Raubtier wie ich auf einmal von seiner Frau abhängig ist? Und vom Geld ihres geizigen Vaters? Selbst hat sie im Leben ja keine hundert Euro verdient. Muriel ist der Typ Frau, der zeitlebens entweder Tochter oder Ehefrau ist.«
»Dass Ihre Frau nun einsam zu Hause sitzt und schier verzweifelt, ist Ihnen allerdings vollkommen gleichgültig.«
»Da war ja immerhin noch Tim«, murmelte er lahm. »Und Iva natürlich. Sie hat ja ihre Iva.«
»Die ist nicht mehr da.«
Überrascht sah er auf. »Wo ist sie hin?«
»Das wissen wir nicht. Anscheinend untergetaucht.«
»Sie müssen wissen, Iva ist … war für Muriel weit mehr als eine Putzfrau. Die zwei haben sich über die Jahre richtig dick angefreundet. Und jetzt ist sie also weg. Nein, das wusste ich nicht. Muss für Muriel ein ziemlicher Schlag sein.«
»Ihre Frau schildert das völlig anders. Wenn man ihr glaubt, dann hat sie Iva kaum gekannt.«
»Das ist ja merkwürdig.«
»Was wissen Sie über diese Iva?«
»So gut wie nichts. Doch: Verheiratet ist sie. Ihr Macker heißt Ratko mit Vornamen und ist ein versoffenes Stinktier.«
Eine Weile war es still. Vor den schlecht isolierten Fenstern rauschte der Verkehr auf der Berliner Straße. Der Wind orgelte um die Ecken des Hochhauses.
»Denken Sie von mir, was Sie wollen«, sagte Jörgensen unvermittelt. »Schlimmer als das Verrecken selbst wäre es für mich, wenn Muriel mir auch noch dabei zusehen müsste. Und auch wenn Sie mir das jetzt nicht glauben. Und auch wenn ich in meinem Leben eine Menge Mist gebaut habe: Ich liebe Muriel. Immer noch, auch nach fast zwanzig Jahren. Vielleicht, weil wir nicht so viel aufeinandergehockt sind.«
»Weiß sie das?«
»Das geht Sie einen Scheißdreck an.«
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir uns in Ihrer Wohnung ein wenig umsehen?«
»Mit wie vielen Leuten kommen Sie? Wie viele werden hier herumschnüffeln?«
»Fünf. Höchstens.«
»Sie werden den Jungen hier nicht finden. Auch nicht im Keller und nicht auf dem Dach.«
»Möglicherweise finden wir andere interessante Dinge. Notizen zum Beispiel, Fotos, irgendwas.«
Er schwieg mit niedergeschlagenen Augen.
»Falls Sie nicht einwilligen«, fügte ich kalt hinzu, »dann stehe ich in einer Stunde mit einem Durchsuchungsbeschluss vor der Tür.«
Ohne dass ich hätte sagen können, wie, hielt er plötzlich einen kurzläufigen, sechsschüssigen Revolver in der Hand. Er zielte auf mich mit schalkhaftem Grinsen, als wäre das Ganze ein riesengroßer Spaß. Ich starrte in seine Augen, aus denen von tief hinten der Hass leuchtete. Hass auf
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