Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
konnte – überaus lustig. Ein wenig machte ich mir Vorwürfe, weil ich am Ende nicht verhindert hatte, dass Pretorius in seinen Lamborghini geklettert und nach Hause geröhrt war. Susi hatte uns mehr oder weniger hinauswerfen müssen, und zum Abschied hatten wir uns alle heftig umarmt. Ihr Grauburgunder schien zum Glück von guter Qualität gewesen zu sein, denn die Folgeschäden beschränkten sich auf dumpfes Dröhnen im Kopf, Grummeln im Bauch und ausgeprägte Arbeitsunlust.
Die Zwillinge erschienen, richteten sich ihr Frühstück und erzählten mir irgendwas.
»Hallo!«, rief Sarah irgendwann. »Ist da jemand?«
»Was?« Ich schreckte hoch. »Wo ist wer?«
»Du hörst wieder mal überhaupt nicht zu!«
»Entschuldigt. Mir geht’s heute nicht besonders.«
»Wir haben heute Nachmittag länger Probe als sonst. Und demnächst haben wir unseren ersten Auftritt, stell dir vor!«
Meine Glückwünsche fielen wohl nicht übermäßig enthusiastisch aus, denn als sie sich wenig später auf den Weg machten, waren sie ungewohnt wortkarg.
»Ihr seid schon fertig?« Ich versuchte, meine Stimme heiter klingen zu lassen.
»Keinen Hunger«, versetzte Sarah.
»Keine Zeit.« Louises Erklärung kam der Wahrheit vermutlich näher.
»Ihr werdet mir aber jetzt nicht magersüchtig oder so was?«
»In dem Schnapsnebel, den du hier verbreitest, wird einem ja schlecht.«
Augenrollend verschwanden sie.
Den Weg zum Büro legte ich an diesem Donnerstagmorgen sicherheitshalber zu Fuß zurück. Noch immer war mir ein wenig weich in den Knien und leer im Kopf. Am Ende hatten wir gestern Abend nur noch gelacht, erinnerte ich mich. Pretorius war im Grunde ein netter Kerl. Und Witze konnte er erzählen, dass mir jetzt noch die Bauchmuskeln schmerzten.
Irgendwann waren wir über das Thema Schwarzarbeit zu den polnischen Putzfrauen gekommen. Susi hatte freimütig eingeräumt, dass sie ohne ihre Perle verloren wäre, die ihr die Wohnung sauber und den Kühlschrank gefüllt hielt, und mir die Handgelenke hingehalten, für den Fall, dass ich sie nun verhaften müsste. Auch darüber hatten wir natürlich herzlich gelacht.
Als der eckige Bau der Polizeidirektion in Sicht kam, ging es mir schon ein wenig besser, und nach einem zweiten Kaffee, den ich mir heute selbst zubereiten musste, weil Sönnchen beim Zahnarzt war, fühlte ich mich schon wieder fast normal. Susis Wein schien wirklich nicht schlecht zu sein.
Ich erledigte zunächst einige einfache Dinge, die im Tumult der letzten Tage liegen geblieben waren und denen ich mich trotz leeren Kopfes gewachsen fühlte.
Später kam Sönnchen und erzählte, der Zahnarzt habe überhaupt nicht gebohrt. Sie stärkte mich mit einem großen Glas eiskalten Orangensaft und wollte hören, wo ich mir die letzte Nacht um die Ohren geschlagen hatte und ob ich ein Aspirin bräuchte.
»Und bitte nicht vergessen, um zehn brauche ich Ihr Büro für eine halbe Stunde.«
»Ich wollte sowieso noch mal mit Jörgensen reden. Büroluft ist heute nichts für mich.«
Als ich mich später mit schon fast wieder festen Schritten auf den Weg machte, wartete im Vorzimmer eine blasse junge Frau, die sich nervös an ihrem Handtäschchen festhielt und mir zugleich aufmüpfig und ängstlich ins Gesicht sah.
»Gehen Sie ruhig schon mal rein.« Ich hielt ihr die Tür auf. »Ich werde gleich Zeit für Sie haben.«
Sönnchen zwinkerte mir mit Verschwörerblick zu und hielt den Telefonhörer schon in der Hand.
Auf der Treppe traf ich Balke.
»Sie wollten mich sprechen?«, fragte er misstrauisch.
»Gehen Sie schon mal in mein Büro. Ich komme gleich.«
Bei seinem Blick war ich mir plötzlich nicht mehr sicher, ob Sönnchens Plan wirklich so gut war, wie er noch vorgestern geklungen hatte.
»Jetzt kann sich ja einer mal so richtig groß fühlen«, lautete Jörgensens gallige Begrüßung. »Einem Kind das Leben retten, gilt im Himmel mindestens so viel, wie tausend Jungfrauen vor der Defloration bewahren.«
»Sie sind religiös?«
Wie ertappt senkte er den Blick. »Der Teufel soll mich holen, ich bin dabei, es zu werden.«
»Es gibt noch ein zweites Kind zu retten.«
»Tim.« Immer noch sah er in seinen Schoß, wo wie üblich Zigaretten und Feuerzeug griffbereit lagen.
»Leider muss ich Sie noch einmal mit ein paar Fragen belästigen.« Ich hatte beschlossen, von Beginn an ein wenig Emotion in das Gespräch zu bringen. »Wir erwägen seit Neuestem die Hypothese, dass Sie selbst Ihren Sohn entführt
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