Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
gewesen sein. Und es ist erst kürzlich auffallend gründlich geputzt worden. Die Fugen der Fliesen waren an der Stelle viel heller als im Rest der Diele.«
Wir kamen kaum voran, weil der Verkehr sich stadteinwärts wegen eines Straßenbahnunfalls staute, wie wir aus dem Polizeifunk erfuhren. Balke auf dem Rücksitz knurrte Unverständliches und knispelte die ganze Zeit mit finsterer Miene an seinen Fingernägeln herum. Das blaue Poloshirt meinte ich schon gestern und vorgestern an ihm gesehen zu haben. Ich beschloss, bei Gelegenheit ein ernstes Chefwort mit ihm zu reden. So konnte das nicht mehr lange weitergehen.
»Warten wir die Laboruntersuchungen ab«, sagte ich und unterdrückte mit knapper Not ein Gähnen. Es regnete schon wieder – oder immer noch?
Im Grunde ging es mir nicht viel besser als Balke. Auch ich war unausgeschlafen, hatte schlecht geträumt und keine Lust mehr auf ratlose Gesichter und Novemberregen und trostlose Schicksale. Im Gegensatz zu ihm hatte ich heute Morgen immerhin daran gedacht, mich zu rasieren.
»Zum Fall Andrea Basler gibt es leider keine neuen Erkenntnisse.« Vangelis legte den ersten Gang ein, es ging ein paar Meter vorwärts. »Wir haben bisher noch nicht mal die Hälfte der Akten geschafft.«
»Dann lassen Sie uns die Zeit nutzen, und fassen Sie noch mal die Fakten zusammen.«
Aus ihrem phänomenalen Gedächtnis referierte sie: »Das Mädchen wurde vor drei Jahren am dreiundzwanzigsten Juli entführt.«
»In diesem Fall sind Sie sicher, dass wir von einer Entführung ausgehen müssen?«
»Einen Unfall können wir nach so langer Zeit ausschließen. Bis heute sind weder Andreas Leiche noch das Fahrrad gefunden worden.« Wieder ging es ein Stück voran. Ein silberfarbener Mercedes hinter uns hupte. Vangelis warf einen amüsierten Blick in den Rückspiegel. »Nachmittags um kurz nach drei hat sie ihr Elternhaus in Auggen verlassen und sich mit ihrem Rad auf den Weg zum Schwimmbad in Müllheim gemacht. Das ist ein Nachbarort, nur etwa drei Kilometer entfernt. Andrea war regelmäßig dort. Ihr üblicher Weg führte über Felder auf eine wenig befahrene Kreisstraße. Die Straße ist schmal, kurvig und geht ein wenig auf und ab. Im Schwimmbad ist sie nie angekommen. Abends um halb neun haben die Eltern sie als vermisst gemeldet.«
»Also auch hier keinerlei Spuren?«
»Wir wissen nicht einmal, wo genau sie entführt wurde.«
»Wer hat sie zuletzt gesehen?«
»Ein pensionierter Lehrer, der in den Feldern seinen Hund ausführte. Er hat Andrea gut gekannt, sie war früher in seiner Klasse. Aber da fällt mir noch was ein: Da war angeblich ein Auto.«
Der Fahrer des tomatenroten Toyota vor uns bekam einen Tobsuchtsanfall nach dem anderen und telefonierte unentwegt mit dem Handy.
»Ein Auto?«
»Einer alten Bäuerin am Rand von Vögisheim, das ist ein winziger Ort auf halber Strecke, ist ungefähr zur fraglichen Zeit ein dunkler Geländewagen aufgefallen. Sie hat am Straßenrand selbstangebaute Tomaten verkauft. Leider versteht die alte Frau nichts von Autos, deshalb konnte sie keine Angaben zur Marke machen. Der Fahrer soll ein älterer Mann gewesen sein, der trotz der Hitze eine Krawatte trug.«
Balke zückte sein Handy, beobachtete ich aus den Augenwinkeln, warf einen Blick aufs Display und steckte es wieder ein.
»Das Kennzeichen?«, fragte ich.
»Nicht aus der Gegend.«
»Was war das mit dem Geländewagen?« Balke hatte offenbar nicht richtig zugehört.
Vangelis klang ein wenig gereizt, als sie die letzten Sätze wiederholte. Der Toyota vor uns bog mit quietschenden Reifen in ein Wohngebiet ab und raste davon. Das Tempo-Dreißig-Schild ignorierte er. Fünfzig Meter weiter blitzte es gelb am Straßenrand. Da würde wohl demnächst ein Fußgänger mehr auf Heidelbergs Straßen unterwegs sein.
»Ein dunkler SUV …« Balke schien plötzlich aufgewacht zu sein und trommelte nervös mit den Fingerspitzen auf meiner Rückenlehne herum. »Da klingelt was bei mir«, murmelte er mit schmalen Augen. »Ein dunkler SUV, da war irgendwas.«
Eine halbe Stunde später erreichten wir endlich die Polizeidirektion. Die Herrschaften von der Spurensicherung waren schlauer gewesen als wir. Sie hatten nicht Polizeifunk, sondern Radio gehört und den Umweg über Dossenheim und die Autobahn genommen.
Im Büro rief ich die Pressestelle an und bat sie, die längst vorbereitete Meldung zu verbreiten. Nun blieb nichts anderes mehr übrig, als an die Öffentlichkeit zu gehen. Jedes
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