Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
schließlich das fünfgängige Menu du jour.
Beim ersten und zweiten Gang sprachen wir wenig, Theresa summte leise irgendeine Melodie. Das tat sie nur, wenn sie sich sehr wohlfühlte, und das Wissen, dass es ihr gut ging, tat wiederum meiner Laune gut. Beim dritten Gang versank Heidelberg hinter dem Horizont, mitsamt Polizeidirektion, ungelösten Entführungsfällen, Vätern, die sich nicht für den Verbleib ihres Sohnes interessierten, Müttern, die behaupteten, ihr Kind sei entführt worden, um etwas Schlimmeres nicht ans Licht kommen zu lassen.
Vielleicht ist Alkohol manchmal doch eine Lösung.
»Hältst du es für denkbar, dass Sönnchen von uns weiß?«, fragte ich irgendwann.
»Wer?«
»Meine Sekretärin.«
Behutsam legte Theresa ihr im Halogenlicht funkelndes, schweres Silberbesteck auf den Teller. Sie sah mich an wie ein eben erst aufgetauchtes Seeungeheuer.
»Du nennst deine Sekretärin Sönnchen, und eure Gleichstellungsbeauftragte hat dir noch nicht den Krieg erklärt?«
Ich musste lachen. »Sie besteht darauf. Sie kann richtig kratzbürstig werden, wenn man sie mit Frau Walldorf anspricht.«
»Und weshalb sollte … hm … Sönnchen … von uns wissen?«
»Sie guckt manchmal so. Als würde sie ahnen, dass es da eine Frau gibt.«
Beruhigt nahm Theresa ihr Besteck wieder zur Hand und säbelte ein ordentliches Stück von ihrem halb blutigen Steak au poivre vert.
»Man muss nicht Hellseherin sein, um zu erraten, dass es bei einem alleinstehenden Mann deines Alters und Aussehens eine Frau gibt.«
Die Sauce au vin blanc, in der meine zarten Kalbsschnitzelchen badeten, schien einer anderen, besseren Welt zu entstammen. Und sie schmeckte mit jedem Happen noch ein wenig besser.
Zum vierten Gang bestellten wir eine zweite Flasche, und Theresa begann zu gickeln wie ein angesäuselter Teenager. Bei der Crème brûlée schließlich gerieten unsere Hände auf Abwege, und ich war aus einem weiteren Grund froh, dass uns hier kein Mensch kannte. Den Rest des Weins nahmen wir nach dem nur halb perfekten Café mit aufs Zimmer.
Dort schliefen wir auf eine Weise miteinander, wie ich es mit Theresa noch nie erlebt hatte. Ruhig, überaus zärtlich und geduldig. Unmittelbar darauf schlief ich in ihren duftenden Armen ein.
Am nächsten Morgen hatte der Regen aufgehört. Hin und wieder blitzte sogar die Sonne zwischen den schnell in Richtung Osten ziehenden Wolken hindurch. Nach dem französisch kargen Frühstück machten wir einen langen Spaziergang an der Lauter entlang in den Ort, bestaunten Arm in Arm die in Würde gealterten Fachwerkhäuser mit ihren krummen Dächern. Theresa suchte ohne großes Engagement nach irgendeinem Mitbringsel, das aus Darmstadt stammen konnte, gab jedoch bald auf.
Eine Weile standen wir auf einer kleinen Eisenbrücke und spuckten abwechselnd in die tobende Lauter, die wegen des Regens der vergangenen Tage Hochwasser führte. Theresa war davon überzeugt, gemeinsam ins Wasser zu spucken mache Liebe unvergänglich, und ich ließ sie in dem Glauben. Ebenso fest glaubte sie daran, dass man sich beim Zuprosten immer tief in die Augen blicken müsse, weil sonst sieben Jahre schlechter Sex drohten. Und das stimmte nachweislich auch nicht.
Dann mussten wir zurück. Am Nachmittag ballten sich die Termine in meinem Kalender. Als wir in den Peugeot stiegen, waren wir beide müde und sehr glücklich.
»Gleichgültig, wie lange es dauert, es ist immer zu schnell vorbei«, murmelte Theresa, als wir wieder auf der deutschen Autobahn waren. Sie schmiegte sich an mich und gähnte wie ein Tigerbaby.
»Dann sollten wir es schleunigst wiederholen.«
»Du siehst heute übrigens viel besser aus als gestern«, stellte sie zufrieden fest. »Du hattest eben doch zu wenig Sex.«
Dann fielen ihr die Augen zu.
»Leute gibt’s!«, schimpfte Sönnchen, als sie mir die Post brachte. »An manchen Tagen rufen hier nur Verrückte an. Liegt’s am Wetter? Oder ist es irgendein Virus, der die Leute blöd macht?«
»Vermutlich ist es wie beim Autofahren«, erwiderte ich gut gelaunt. »Da hat man an manchen Tagen auch das Gefühl, alle wären morgens mit dem falschen Fuß aufgestanden.«
»Irgendwann schreib ich noch ein Buch.« Sie klang schon wieder gnädiger. »Verrückte am Telefon. Vorhin ist wieder so einer dran gewesen, der ist am Ende richtig unverschämt geworden. Man hat ihm vor zwei Wochen sein Fahrrad geklaut, und stellen Sie sich vor, jetzt wollt er doch allen Ernstes wissen, wie weit wir
Weitere Kostenlose Bücher