Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
Dinge, die vermutlich noch von den Vorbesitzern des Hauses stammten. Einen alten Röhrenfernseher entdeckte ich, zwei verkalkte Waschbecken, einen Pressspan-Schrank mit nur noch einer Tür. Hier befand sich auch das Fenster, durch das der Einbrecher eingedrungen war. Die Scherben lagen weit verstreut. Offenbar hatte er mit viel zu großer Wucht auf die Scheibe eingeschlagen, was nicht für einen Profi sprach. Von den deutlich erkennbaren Fußspuren am Boden zu schließen, hatten wir es mit einem Einzeltäter zu tun.
Die Kellerdecke war etwa einen Meter über der Erde, weshalb das Fenster nicht allzu tief lag. Man musste außen eine kleine Böschung hinabsteigen und hatte sogar den Vorteil, dadurch für Beobachter fast unsichtbar zu werden.
»Sollte alles längst mal zum Sperrmüll«, sagte Lassalle finster. »Schade, dass er nicht ein bisschen was davon mitgenommen hat.«
Nachdem der Täter die Scheibe zertrümmert hatte, musste er durch das Loch gegriffen und das Fenster geöffnet haben. Die Fußabdrücke in der dicken Staubschicht am Boden stammten von Männerschuhen, vermutete ich. Oder von einer Frau mit sehr großen Füßen. Lea war hier bestimmt nicht eingestiegen, wie ich für einen Moment gehofft hatte. Lea, die vielleicht irgendetwas hatte holen wollen. Aber dieser Gedanke war idiotisch, sie besaß ja vermutlich einen Hausschlüssel.
Ich zückte mein Handy und forderte die Spurensicherung an.
»Große Schuhe hat das Arschloch«, konstatierte Lassalle.
»Ich brauche ein paar Informationen von Ihnen«, sagte ich, als wir hintereinander die Treppe wieder hinaufstiegen. »Erstens wüsste ich gerne, wen Lea in den Tagen vor ihrem Straßburgtrip angerufen hat.«
»Das ist einfach«, erwiderte er über die Schulter. »Ihr Handyvertrag läuft auf den Namen ihres Großvaters. Ich rufe gleich in Bad Homburg an und lasse mir die Zugangsdaten geben.«
Immerhin reagierte er nicht mehr völlig abweisend, wenn die Sprache auf seine verschwundene Tochter kam.
»Zweitens brauche ich etwas, womit sich Leas Blutgruppe bestimmen lässt. Ihre Haarbürste zum Beispiel.«
»Wozu das?«
Ohne sagen zu können, aus welchem Grund, hatte ich beschlossen, die Tote in Frankreich vorerst nicht zu erwähnen.
»Weil ich wissen will, ob das Blut an Ihrem Ärmel von Ihrer Tochter stammt«, erwiderte ich deshalb.
Inzwischen standen wir wieder im Erdgeschoss.
»Kriegen Sie«, sagte Lassalle ungerührt. »Sonst noch was?«
»Die Adresse von Leas Zahnarzt.«
»Wozu?«
»Das erfahren Sie, wenn ich es für richtig halte.«
»Wenn es Sie glücklich macht.« Gleichmütig zuckte er die Schultern. »Kann ich mit erledigen, wenn ich wegen des Handys mit ihren Großeltern telefoniere. Hier in Heidelberg war sie noch nicht beim Zahnarzt.«
»Und schließlich würde ich gerne einen Blick in Leas Zimmer werfen.«
»Da fehlt nichts«, behauptete er eine Spur zu schnell.
»Ich denke, Sie haben noch gar nicht nachgesehen?«
Er fixierte mich mit dem Blick eines Menschen, der es gewohnt ist, dass andere vor ihm kuschen. »Hier geht es um einen Einbruch, Scheiße noch mal! Was hat denn Leas Zimmer damit zu tun?«
»Sie erinnern sich vielleicht, dass Ihre Tochter seit Freitagabend verschwunden ist. Heute ist Dienstag. Und ich finde, Sie könnten ruhig ein wenig mehr Interesse an Leas Schicksal zeigen.«
»Und ich finde, Sie vergreifen sich gerade mächtig im Ton.«
»Sie machen sich immer noch keine Sorgen um sie?«
»Hören Sie doch endlich auf!«, fuhr er mich an. Dann mäßigte er sich, und sein Blick schweifte ab. »Mal war sie nur einen halben Tag weg, mal fast eine Woche. Wie sie zum ersten Mal ausgebüxt ist, da war sie gerade mal elf. Oder zwölf. Damals waren wir noch eine richtige … Familie. Damals war noch alles in Ordnung bei uns, und trotzdem ist sie abgehauen. Lea ist ein Wildfang. Wenn ich jedes Mal die Polizei gerufen hätte, du lieber Himmel!«
»Hat Ihre Frau sich damals auch keine Sorgen gemacht? Als Sie noch eine richtige Familie waren?«
»Scheiße, natürlich hat sie das!« Wieder explodierte er, und wieder riss er sich zusammen. Der Mann stand unter einer extremen Spannung, und ich hätte zu gerne gewusst, aus welchem Grund. »Natürlich haben wir uns Sorgen gemacht. Beim ersten Mal sind wir auch bei der Polizei gewesen. Haben tausend Fragen beantwortet, Fotos abgeliefert. Und bevor die Schnarchnasen alles mit zwei Fingern in ihren Computer gehackt hatten, war sie wieder da. Und ich durfte dann anrufen und
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