Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
Er macht eine Ausbildung als PTA und ist seit ein paar Tagen krank daheim.«
»Und da spielt er Privatdetektiv?«
Sönnchen gluckste. »Gar so krank ist er wohl auch wieder nicht.«
Kurze Zeit später saß Leas Vater im Intercity nach Frankfurt.
»Keine Angst, der Jan verliert ihn nicht«, versuchte mich meine vor Fahndungsfieber bebende Sekretärin zu überzeugen. »Der ist ein Schlauer.«
Ich fragte mich, ob ich vielleicht gegen irgendwelche Dienstpflichten verstieß, indem ich diese Privatschnüffelei duldete.
»Der Franzose hat übrigens vorhin angerufen«, führte sie ihren Frontbericht fort. »Dieser Capitaine de Brune. Sämtliche Reviere im östlichen Elsass haben jetzt Leas Foto und die Weisung, die Augen offen zu halten.«
»Hoffen wir, dass sie das Bild nicht am Ende zur Identifizierung ihrer Leiche benutzen müssen.«
»So schlimm?«, fragte sie erschrocken.
»Allmählich halte ich alles für möglich. Und ich glaube, jetzt brauche ich erst mal einen anständigen Kaffee.«
Plötzlich war ich wieder müde. Als hätten die wenigen Hundert Meter von meiner Wohnung bis zur Direktion meine sämtlichen Kräfte aufgezehrt. Im Vorzimmer brummte die Kaffeemaschine. Bald begann es, durch die offen stehende Tür nach einem zweiten Frühstück zu duften.
»Frau Walldorf?«, rief ich, ohne mich von meinem Sessel zu erheben. »Machen Sie mir bitte einen Urlaubsantrag fertig?«
»Für Weihnachten?«
»Genau.«
»Eine Woche oder zwei? Dieses Jahr liegen die Feiertage ja leider nicht so günstig.«
»Am liebsten vier.«
»Jetzt sitzt er in der S-Bahn nach Bad Homburg«, eröffnete mir die beste aller Sekretärinnen anderthalb Stunden später. »In Frankfurt hat er zwanzig Minuten Aufenthalt gehabt und eine heiße Rindswurst mit Senf gegessen.«
»Süßer Senf oder scharfer?«
Sie lachte hell. Selbst für ihre Verhältnisse schien sie heute ungewöhnlich gut gelaunt zu sein. Außerdem hatte sie sich schon wieder schick gemacht. Heute trug sie einen marineblauen Hosenanzug, der ihr ausgesprochen gut stand.
»Und er hat nicht gemerkt, dass ihm jemand beim Essen über die Schulter sieht?«
»Jan sagt, der merkt gar nichts. Manchmal redet er mit sich selbst. Zu der Wurst hat er übrigens einen Schnaps getrunken. Und danach noch einen, zur Verdauung, nehm ich an.«
»Morgens um halb zehn.«
»Um neun Uhr achtunddreißig. Und den zweiten um neun Uhr zweiundfünfzig. Kurz bevor seine Bahn gekommen ist.«
»Richten Sie Ihrem Jan aus, falls es ihm in der Apotheke zu langweilig wird, soll er mich mal anrufen.«
Mein Telefon unterbrach uns. Zu meiner Überraschung war es Louise. Sie hatten eine Freistunde. »Der Plako ist krank. Hast du schon was von Henning gehört?«
»Bisher nicht.«
»Er macht sein Handy überhaupt nicht mehr an. Vielleicht ist er wieder in Straßburg, haben wir überlegt. Lea suchen, keine Ahnung. Sind alle Jungs so, wenn sie verknallt sind?«
»Frauen sind auch nicht viel besser. Aber du hast recht. Ich würde ihm zutrauen, auf eigene Faust nach ihr zu suchen.«
»Paps«, sagte meine Tochter nach einer kurzen Pause, in der ich sie mit jemandem flüstern hörte. »Meinst du, Chip macht Dummheiten?«
»Wie ich das sehe, macht er zurzeit eine Dummheit nach der anderen.«
»Wir meinen … richtige Dummheiten?«
»Fürchtet ihr, er tut sich was an?«
»Er ist so was von durch den Wind. Man kann’s echt mit der Angst kriegen. Gestern Abend, da hat er so einen Blick gehabt. Und später mussten wir ihn praktisch rausschmeißen, sonst wär der die ganze Nacht geblieben. Erst hat er uns hoch und heilig versprochen, dass er heimfährt und sich ausschläft. Aber dann wollte er doch lieber bei Sandro übernachten.«
»Ich gebe eine Meldung raus, dass unsere Leute nach seiner Vespa Ausschau halten sollen«, sagte ich nach kurzem Überlegen. »Und wenn er bis Mittag nicht aufgetaucht ist, wird er offiziell als vermisst gemeldet. Und wo ich dich gerade in der Leitung habe, ihr habt doch bestimmt Zugang zu Leas Facebook-Profil, oder?«
»Logo. Wir sind ja sogar mit ihr befreundet. Nur an ihre Chats und Nachrichten kommen wir nicht ran. Dafür braucht man das Passwort.«
»Und was schreibt sie sonst so?«
»Seit Freitagmorgen hat sie nichts mehr gepostet.«
Im Hintergrund hörte ich Jugendliche lärmen und lachen. Ein Mädchen stieß einen spitzen Schrei aus.
»Was hat sie als Letztes geschrieben?«
»Dass ihr Vater ein Arsch ist.«
»Das hat sie so ins Internet
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