Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
wenig.«
»Ich war besoffen, Scheiße!«
»Darf man erfahren, worum es bei diesem Streit ging?«
»Um irgendeine Nichtigkeit. Wie immer.«
Ich faltete die Hände auf dem Tisch, um sicher zu sein, dass ich ihn nicht ungewollt zu würgen begann, sammelte mich für zwei Sekunden und trank einen weiteren Schluck von dem angeblichen Kaffee. Plötzlich brummte die Maschine wieder, und dieses Mal plätscherte Cappuccino in den Becher.
»Wissen Sie was?«, sagte ich zu Lassalles gebeugtem Rücken. »Allmählich habe ich den Verdacht, dass Ihnen das Verschwinden Ihrer Tochter ganz gelegen kommt. Außerdem werde ich den Verdacht nicht los, dass Sie irgendwas damit zu tun haben. Ich weiß noch nicht, wie und warum. Aber ich werde es herausfinden, darauf können Sie sich verlassen.«
Sehr langsam drehte er sich zu mir um.
»Was sagen Sie da?«, keuchte er. »Was haben Sie gesagt?«
Ich hatte ihn so weit. Er reagierte. Endlich. Ich hatte einen wunden Punkt getroffen.
»Anscheinend passt es Ihnen ja ganz gut in den Kram, dass Ihre Tochter nicht mehr da ist.«
Sein Cappuccino war längst fertig, aber Lassalle schien ihn vergessen zu haben. Nachdenklich sah er zum zerstörten und nachlässig geflickten Fenster. Fuhr sich mit einer fahrigen Bewegung übers Gesicht. Griff nach einem der Hocker, ohne sich zu setzen. Setzte sich am Ende doch. Mit hängenden Schultern saß er da, den Blick zu Boden gerichtet, auf einen schmierigen, mintgrünen Kunststoffbelag. Sein Atem ging laut und schwer. Es dauerte Minuten, bis er sich wieder fing. Dann fiel ihm endlich der Kaffee ein, und er sprang auf.
»Ach du Scheiße«, murmelte er, als hätte es seinen kleinen Zusammenbruch nie gegeben. »Den habe ich total vergessen. Ich mache neuen. Kommt sofort.«
Er schüttete den Inhalt des braunen Bechers in die Spüle, und wieder brummte die Maschine. Sekunden später stellte er einen weiteren nachtschwarzen Kaffee vor mich hin.
»Hoppla«, stellte er verdutzt fest. »Sie haben ja schon!«
»Nehmen Sie ihn«, seufzte ich. »Ich denke, Sie können auch eine Tasse vertragen.«
»Zucker habe ich nicht im Haus«, stammelte der glücklose Gastgeber. »War die letzten Tage ein bisschen nachlässig mit dem Einkaufen.«
»Also, noch mal von vorn: Worum ist es bei diesem Streit vor einer Woche gegangen?«
»Um Geld, glaube ich. Aber ich war ziemlich blau an dem Abend. Und Lea … sie hat mich beklaut. Manchmal. Sie ist auch schon zweimal beim Klauen in Boutiquen erwischt worden. Das Jugendamt war hier und hat großes Tamtam gemacht. Da ist es mir allemal lieber, sie beklaut mich. Normalerweise nimmt sie zehn oder zwanzig Euro. Auch mal fünfzig. Aber letzte Woche haben auf einmal siebenhundert im Portemonnaie gefehlt. Das fand ich dann doch ein bisschen heftig.«
»Hat sie den Diebstahl zugegeben?«
Tief in Gedanken schüttelte Lassalle den schweren Kopf. Ich schob den Kaffee in seine Reichweite. Er bemerkte es nicht.
»Sie hat mich angeschrien und mir die üblichen Vorwürfe gemacht.«
»Was sind denn die üblichen Vorwürfe?«
»Das geht Sie nichts an«, erwiderte er mit plötzlich wieder fester Stimme.
»Das zu beurteilen, überlassen Sie bitte mir.«
Böse sah er mir in die Augen. »Es ging um Angelegenheiten, die nur Lea und mich betreffen.«
»Hatte es damit zu tun, dass Ihre Frau Sie verlassen hat?«
Lassalle nickte langsam und schien zu überlegen, wie ich plötzlich auf diesen interessanten Gedanken gekommen war.
»Hatte es damit zu tun, dass Sie Lea …« Ich brach ab. Zögerte. War ich im Begriff, übers Ziel hinauszuschießen? Tief hinten in seinen Pupillen glimmte jetzt ein Hass, der gefährlich werden konnte. Dennoch. Jetzt war ich hier. Es musste zur Sprache kommen. »Hatte es damit zu tun, dass Sie mit Lea Dinge gemacht haben, die ein Vater mit seiner Tochter nicht …«
Mit unerwarteter Geschwindigkeit kam er auf die Beine. Stürzte sich mit einem gurgelnden Brüllen auf mich. Sein Kaffeebecher zerplatzte an der Wand, ein Stuhl polterte durch die Gegend, ein Schlag streifte meine Schulter, und in der nächsten Sekunde lag Lassalle am Boden und hielt sich die Nase.
Er war gestolpert, ich hatte ihn nicht einmal berührt. Er war bei seinem lächerlichen Angriff über seine eigenen Beine gestolpert und aufs Gesicht gefallen.
»Scheiße!«, keuchte er mit schmerzverzerrter Miene. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«
»Ich nehme Sie fest wegen versuchter Körperverletzung«, erklärte ich ruhig und erhob mich. »Sie haben
Weitere Kostenlose Bücher