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Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Titel: Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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aufgefallen, dass er in der Wohnung war?«
    »Nein.«
    »Würden Sie mir eine Liste der Dinge machen, die Henning eingepackt hat?«, fragte ich, nachdem es für Sekunden so still gewesen war, dass man den Wind hören konnte, der vor den Fenstern säuselte. »Hennings Rucksack ist auf dem Weg nach Heidelberg. Und es wäre natürlich interessant zu wissen, ob er alles in Kehl zurückgelassen hat oder ob er vielleicht doch ein paar Sachen mitgenommen hat.«
    Dorothee Dellnitz sah mir ausdruckslos auf den Mund. »Ich werde mich gleich an die Arbeit machen. Es ist gut, wenn ich etwas zu tun habe.«
    »Eine letzte Frage noch. Welche Schuhgröße hat Ihr Sohn?«
    Erstaunt richtete sie sich auf. »Hennings Schuhgröße?«
    »Bitte.«
    »Fünfundvierzig. Weshalb ist das wichtig?«
    »Ich weiß noch nicht, ob es wichtig ist.«
    Wir erhoben uns.
    »Wollen Sie sein Zimmer sehen?«
    »Im Moment nicht. Ich lasse Sie jetzt allein. Aber wenn ich irgendwie helfen kann …«
    Sie lächelte traurig. Nickte. »Ich habe ja Ihre Nummer.«
    Ich reichte ihr die Hand. Sie ergriff sie mit Verzögerung.
    »Muss ich …«, sagte sie mit abgewandtem Blick, als wir schon in der Tür waren. »Wenn er gefunden wird, werde ich ihn … identifizieren müssen?«
    »Erstens ist Henning nicht tot. Und zweitens kann das dann gerne Ihr Exmann übernehmen.«
    »Mann«, korrigierte sie mich mit verlorenem Blick. »Wir leben getrennt. Wir sind aber nicht geschieden. Nur getrennt.«
    Plötzlich ging ein Ruck durch sie, und sie sah mir offen ins Gesicht. Dieses Mal jedoch nicht ängstlich oder traurig, sondern … einsam. »Sie … Du erkennst mich nicht?«
    »Sollte ich denn?«, fragte ich verblüfft.
    Die Augen, wurde mir im nächsten Moment bewusst. Die wasserblauen Augen! Die helle Haut! Die Grübchen, wenn sie lächelte!
    »Doro?«, fragte ich verdattert. »Doro … wie war noch …?«
    »Gümbel«, ergänzte sie mit trostlosem Lächeln und reichte mir erneut die Hand, die ich automatisch ergriff.
    »Doro Gümbel. Mein Gott! Und du bist jetzt also auch in Heidelberg? Wie lange schon?«
    Sie blinzelte. Ob vor Rührung oder Aufregung, wusste ich nicht.
    »Seit fünf Jahren. Vorher haben wir lange in Berlin gelebt. Aber dann hat Sascha in Mannheim eine gute Stelle als Abteilungsleiter bei Harmann und Krauth gefunden. Ich wollte sowieso zurück in den Süden. Leider hat er sich bald darauf in seine Sekretärin verguckt, diese … Aber lassen wir das.«
    »Wie lang ist es her, dass wir …?«
    »Im September waren es wohl zwanzig Jahre.«
    »Bei unserer zehnjährigen Abifeier, nicht wahr? Ich glaub’s einfach nicht. Die Doro!«
    Ihr Händedruck wurde für den Bruchteil einer Sekunde fester, dann ließ sie abrupt los.
    »Jedenfalls schön, dich mal wieder zu sehen, Alexander. Auch wenn es nicht gerade die glücklichsten Umstände sind.«
    »Du hast dich ganz schön …« Ich brach ab, weil ich im Begriff war, etwas sehr Dummes zu sagen. Aber sie hatte mich leider schon verstanden.
    »Ich habe ziemlich zugenommen seit damals, ich weiß«, sagte sie ohne eine Spur von Kränkung.
    »Hattest du nicht früher eine Brille?«
    »Kontaktlinsen.« Ihr Lächeln wurde warm, und in ihren Augenwinkeln glitzerte eine Spur von Freude.
    »Und deine Haare …«
    »Waren früher so komisch matschfarben wie die von Henning heute.«
    Ich konnte mir ein Lachen nicht ganz verkneifen. »Mir haben sie damals gefallen.«
    »Du hast dich gut gehalten. Ich habe schon lange gewusst, dass du in Heidelberg bist. Man liest deinen Namen ja manchmal in der Zeitung, und da habe ich irgendwann mal ein bisschen im Internet gestöbert …«
    »Mensch, Doro«, sagte ich und wagte nicht, sie zu umarmen. »Das ist ja ein Ding!«
    Während der Rückfahrt zur Direktion erinnerte ich mich an das turbulente Klassentreffen. Ich musste die Scheibenwischer einschalten, da es völlig überraschend zu regnen begonnen hatte. Große Tropfen zerplatzten auf der Frontscheibe meines alten Peugeot-Kombi, den ich nur wenige Jahre nach der Nacht mit Doro angeschafft hatte.
    Fast alle waren dabei gewesen. Nur Schmitz hatte gefehlt, der Klassenprimus, den es als promovierten Ethnologen in irgendeine unwirtliche Ecke Kambodschas verschlagen hatte. Und Irmchen natürlich, die in Kiel einen veritablen Kapitän geheiratet, mittlerweile sechs oder sieben Kinder in die Welt gesetzt und absolut keine Möglichkeit gefunden hatte, diese für zwei Tage irgendwo unterzubringen.
    Wir trafen uns in der Schule, nachmittags um drei.

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