Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
nichts und bewohnt ein Haus, das bestimmt nicht billig war. Sein Geld verdient er angeblich durch Lizenzeinnahmen aus irgendwelchen Patenten.«
Für Sekunden schwiegen wir beide.
»Wir warten noch ein bisschen«, entschied ich dann. »Die Geschichte ist mir noch zu vage. Ich will mir bei der Staatsanwaltschaft nicht schon wieder eine blutige Nase holen.«
Kurze Zeit später kam der versprochene Rückruf der Stationsschwester aus Ludwigshafen.
»Sie sind gestern da gewesen, hab ich gehört?«, fragte sie gut gelaunt. »Machen Sie das immer, wenn ein Vermisster wiederauftaucht?«
»Es sind in diesem Fall … besondere Umstände.«
»Und was kann ich noch für Sie tun?«
»Ich wüsste gerne den Namen meines Mitarbeiters, mit dem Sie vergangene Woche telefoniert haben.«
»Oje, da kriegt jetzt einer den Rost runtergebürstet, was?« Sie lachte fröhlich. »Momentchen … Wo hab ich nur … Ah, hier auf der Schreibtischunterlage hab ich’s notiert. Ich schreib mir so was nämlich grundsätzlich immer auf. Man weiß ja nie … Jetzt müsst ich es nur noch lesen können. Ruckel? Haben Sie einen, der Ruckel heißt?«
»Runkel?«
»Runkel! Sie sagen es.«
Warum überraschte mich das nicht?
Der Übeltäter zog es vor, telefonisch nicht erreichbar zu sein. Ich wählte Balkes Nummer.
»Der ist unterwegs«, wusste er. »Irgendwas Privates. Er ist spätestens in einer Stunde zurück, hat er gesagt.«
»Wann war das?«
»Vor zwei Stunden«, erwiderte Balke betreten.
Ich seufzte. »Er soll sich bei mir melden, falls er irgendwann auftaucht.«
Zwischendurch versuchte ich immer wieder einmal, Doro zu erreichen. Ich hatte das Gefühl, ihr etwas schuldig zu sein. Aber auch sie nahm ihr Telefon nicht ab, und ich war nicht wirklich traurig deswegen.
19
Um halb drei am Nachmittag meldete Sönnchen überraschenden Besuch.
»Eine Frau Ehling. Sie kennen sie angeblich.«
Sekunden später stand sie vor mir.
»Ich habe ihn!«, erklärte Yvonne Ehling mit leuchtenden Augen. »Den Kerl im Mercedes! Ich weiß jetzt, wer er ist!«
»Bitte nehmen Sie Platz.« Ich wies auf meine Besucherstühle. Sie setzte sich auf die vorderste Kante des Stuhls, der mir am nächsten stand. Frau Ehling war noch keine dreißig, und ihre Kleidung stammte eindeutig nicht von einer Billigmarke. Die Stofffülle des raffiniert geschnittenen azurblauen Kleids betonte ihre Schlankheit. An den Beinen teure Strümpfe und schwindelerregend hohe Schuhe. Im Übrigen war sie weder blond noch blind, wie Claus Overbeck behauptet hatte. Das kastanienbraune Haar trug sie offen, der Farbton der Stilettos war exakt auf die Haare abgestimmt, der Schmuck war nicht teuer, aber mit Geschmack und Verstand ausgewählt.
»Ich dachte, ich komme einfach vorbei. Ich lese so gerne Krimis und hatte noch nie mit der Kripo zu tun, und jetzt bin ich natürlich neugierig, wie das bei Ihnen so läuft. Außerdem können wir so gleich alles besprechen.«
»Woher wissen Sie, wer der Mann ist?«
»Es ist der Knüller! Ich habe gestern praktisch ununterbrochen im Internet rumgedaddelt und ewig nichts gefunden. Irgendwann am Vormittag ist mir dann die Idee gekommen, dass ich ihn vielleicht in den Nachrichten gesehen habe. Und stellen Sie sich vor, er war tatsächlich letzte Woche in der Tagesschau! Am Mittwoch. Nur im Hintergrund, aber ich habe ihn trotzdem gleich erkannt. Der Mann, den Sie suchen, ist Politiker und heißt Carsten Gröwer. Dr. Carsten Gröwer. Er stammt hier aus der Gegend. Aus Bad Rappenau.«
»Und Sie sind ganz sicher, dass er es ist?«
»So sicher, wie man nur sein kann. Ich habe ihn und das Mädel übrigens später noch mal an der Tanke gesehen, ist mir eingefallen. Vor sechs Wochen muss das gewesen sein. Ungefähr Mitte November.«
»Und in welchem Zusammenhang war dieser Herr Gröwer in den Nachrichten?«
»Um Afghanistan ging es.« Sie rückte noch ein wenig näher. Ihr Parfüm war schwer und sehr weiblich. »Wir können es uns ansehen, wenn Sie mögen. Der Bericht ist im Internet.«
Sekunden später sah ich den Mann zum ersten Mal, der angeblich ein Verhältnis mit Lea hatte. Als Erstes fielen mir Gröwers markantes Kinn und seine Hautfarbe auf. Er sah aus, als käme er geradewegs aus einem Skiurlaub. In dem etwa dreißig Sekunden langen Tagesschau-Beitrag ging es um den Abzug der ersten deutschen Truppenkontingente aus Afghanistan. Das Interview mit dem Verteidigungsminister fand vor den Türen des Kanzleramts statt, wo kurz darauf eine
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