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Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Titel: Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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»Kapitän« reagierte er.
    »Captain!«, rief er aufgeregt. »Trinken gangen, ja.«
    »Kneipe?«, fragte ich. »Bar?«
    »Bar! Ja, ja!«
    Im Hintergrund hörte ich Dröhnen, Scheppern und Brummen.
    »Können Sie ihn irgendwie erreichen? Hat er ein Handy?«
    Das war eine ziemlich dumme Frage, wurde mir im selben Moment bewusst, denn das Handy des Kapitäns hielt ja offenbar mein begriffsstutziger Gesprächspartner am Ohr.
    »Handy! Ja, ja!«
    Als ich schon aufgeben und mein Glück bei den Rotterdamer Hafenbehörden versuchen wollte, mischte sich eine resolute Frauenstimme ein, und mein Gesprächspartner reichte das Handy weiter.
    »Hallo?«, rief sie zornig. »Wie is daar?«
    Zum Glück sprach sie ein wenig Deutsch.
    »De Henning«, sagte sie mitleidig, nachdem sie verstanden hatte, worum es ging. »Arme Kerel.«
    Eine Hupe trötete dreimal in kurzer Folge.
    »Sie haben Henning aus dem Rhein gefischt, nehme ich an?«
    »Ich nicht on board. Mein Mann mir erzählt, am Dienstag. In Haven. In Kehl. Schon fast ertrunken, de arme Kerel. Aber Wasser war kalt. War Geluk. Große Geluk. Sie ihn beleben. Er dann heilzaam. Gezond. Sagen, heißen Henning. Aber kein Herinnering. Sagen, kein Herinnering.«
    Ich brauchte einige Sekunden, bis ich das letzte Wort richtig deutete: »Er konnte sich an nichts erinnern? Er hatte keine Erinnerung?«
    »Kein Herinnerung, ja. Dann plotseling bewusteloos. Suddenly bewusteloos. On Wednesday. Meine Mann erst denken, Henning slapen. Sleep, verstaan? Aber er nichts mehr ontwaken. Sie ihn dann Ludwigshaven. Hospitaal.«
    Ich wusste, es hatte keinen Sinn. Henning würde mir keine Fragen beantworten. Aber ich musste ihn einfach sehen. Ich konnte nicht anders. Und so war ich dreißig Minuten später auf der Autobahn in Richtung Westen unterwegs.
    »Wir tippen auf eine schwere Gehirnerschütterung«, erklärte mir die Ärztin, mit der ich eine Stunde zuvor telefoniert hatte. Inzwischen war sie nicht mehr ganz so munter. »Kommt vor, dass die Leute erst nach Tagen auf einmal umkippen. Dazu kommt leider, dass sein Gehirn vermutlich eine Weile mit Sauerstoff unterversorgt war, als er im Wasser lag. Diese Kapitänsfrau hatte ganz recht – dass das Wasser so kalt war, war sein Glück. An diesem Dienstag muss ein ganzes Geschwader Schutzengel über Kehl geschwebt haben.«
    »Er wird aber wieder aufwachen?«
    »Vermutlich. Früher oder später. In welchem Zustand, weiß nur der liebe Gott. Im Augenblick können wir nur warten und beten.«
    Ich erkannte Henning kaum wieder. Sein Gesicht war fahl und eingefallen. Die ohnehin große Nase stak wie ein Beil in die Luft. Aus Mund und Nase hingen Schläuche. Überall Kabel und Elektroden und Infusionen. Sein Atem ging rasselnd und ungleichmäßig, aber immerhin, er atmete selbstständig. Anfangs sei das nicht so gewesen, sagte die Ärztin. Als ich mit Henning allein war, trat ich einen Schritt zurück und betrachtete lange sein Gesicht. Am Hals hatte er ein kleines Muttermal. Und das Schnurrbärtchen schien in den Tagen, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, dunkler geworden zu sein. Ich kam zum Schluss, dass Doros Sohn mir sehr viel ähnlicher sah als meine Töchter, die äußerlich eher nach Vera geraten waren. Der Pulsmonitor piepste leise und monoton. Es roch nach Technik und Desinfektionsmitteln.
    »Was ist mit seiner Mutter?«, fragte ich die Ärztin, als sie später noch einmal hereinschaute. »Ich habe sie nach unserem Telefonat gleich informiert.«
    »Sie war schon bei ihm. Aber nicht lange. Sie hält das nicht aus, sagte sie. Die meiste Zeit hat sie schrecklich geweint. Gibt es jemanden, der sich um die Frau kümmert? Sie war völlig aufgelöst, als wir ihr das Taxi für die Rückfahrt bestellt haben.«
    Von Ludwigshafen fuhr ich direkt nach Hause. Theresa würde um sieben hungrig vor der Tür stehen. Auch diese Woche wollten wir mit den Zwillingen zusammen essen. Heute hatte ich die Rolle des Küchenchefs, und ich hatte noch nicht einmal eingekauft.
    Um kurz nach sechs stürzte ich mit Tüten beladen in die Küche und begann zügig, Chaos zu verbreiten. Um halb sieben brutzelte das Fleisch in der Pfanne – Lammragout mit viel Thymian und Knoblauch –, und ich las im Kochbuch, dass ich es eigentlich vor drei Tagen hätte in Rotwein einlegen sollen. Ersatzweise kippte ich zwei Gläser Spätburgunder extra in die Pfanne. Nebenbei begann ich, den Feldsalat zu putzen, den ich als ersten Gang auftischen würde. Die Zwillinge hockten vor ihren PCs und

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