Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
alt, Vater zweier längst erwachsener Söhne, seit wenigen Wochen geschieden und wieder allein lebend. Zuvor hatte er sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Aus dem Polizeidienst war er vor fünf Jahren wegen Krankheit ausgeschieden.
»Ein paar Jahre ist er sogar bei der Sitte gewesen«, sagte Sönnchen. »Ausgerechnet! Seit er geschieden ist, wohnt er in einem kleinen Haus bei Brumath. Die Nachbarn sagen, er ist ein bisschen scheu, aber nett. In dem Haus hat er die armen Frauen aber nicht versteckt. Die Franzosen meinen, er muss irgendwo auf dem Land ein Versteck haben. Ein altes, leer stehendes Bauernhaus, eine Höhle, eine Scheune. Vielleicht in den Vogesen …«
Ich nahm mir einen Stuhl und setzte mich neben ihren Schreibtisch. »Aber er verrät das Versteck nicht?«
Sie schüttelte den Kopf, nahm ebenfalls Platz. »Sie haben ihn bei einem Verkehrsunfall erwischt. Gestern Abend. Er ist mit dem Auto auf dem vielen Schnee ins Rutschen gekommen und auf einen Bus geknallt. Das Auto war kaputt, und wie die Polizei gekommen ist, da hat er sich so komisch verhalten, dass sie ihn gleich mit aufs Revier genommen haben. Dort haben sie dann festgestellt, dass er Blut unter den Fingernägeln hat …«
Es dauerte einen Augenblick, bis ich verstand. »Heißt das etwa, er hat schon wieder eine Frau …?«
Sönnchen nickte, als trüge sie persönlich Schuld daran.
»Sie haben ihn die ganze Nacht vernommen. Die ganze Nacht. Aber er sagt nichts. Er sagt einfach nichts. Und jetzt haben sie natürlich Angst, dass die Frau vielleicht noch lebt … und …«
»Du lieber Gott!« Ich legte das Gesicht in die Hände. Dann sah ich wieder auf. »Kennt man schon die Blutgruppe?«
Sönnchen mochte mir nicht in die Augen sehen und schüttelte nur stumm den Kopf.
Nach seinen anfänglichen Fortschritten kam Balke plötzlich nicht mehr weiter. Von den Parkplätzen des Baden-Airparks war in der halben Stunde nach Ankunft der Maschine aus Berlin kein passender Mercedes gefahren.
»Mietwagen ist auch Fehlanzeige«, berichtete er mir am späten Nachmittag geknickt. »Er könnte natürlich woanders geparkt haben. Gerade reiche Leute sind ja oft unglaublich geizig. Oder er hat sich abholen lassen. Kommen wir nicht doch irgendwie an die Passagierlisten ran?«
»Vergessen Sie es.«
»Es gibt vielleicht noch eine andere Möglichkeit …« Eilig zückte er sein Smartphone. »Ich checke mal eben, ob er …«
»Passt«, zischte er nach wenigen Augenblicken. »Mit dem ICE braucht er nur sechseinhalb Stunden von Berlin nach Offenburg. Wenn er gleich nach der Bundestagssitzung zum Bahnhof ist, dann war er um fünf nach halb elf in Offenburg. Von da vielleicht mit dem Taxi nach Straßburg – das haut hin. Ihre Zeugen haben sich vielleicht mit der Uhrzeit vertan. Als MdB braucht er nicht mal ein Ticket. Unsere sogenannten Volksvertreter kriegen ja alle die Bahncard 100 für lau. Erste Klasse natürlich. Man könnte ja mit dem Volk in Kontakt kommen, das man vertritt. Das mit dem Taxi checke ich nachher.«
»Gut«, erwiderte ich wenig begeistert. »Es wäre prinzipiell möglich, dass er in der Nacht in Straßburg war. Und mit Lea um einen braunen Umschlag gestritten hat. Aber ohne einen handfesten Beweis gehe ich nicht aus der Deckung. Sonst habe ich fünf Minuten später den Innenminister persönlich am Hals. Abgesehen davon – hat Gröwer es wirklich nötig, sich von Lea Geld geben zu lassen?«
Balke schluckte und steckte umständlich sein Telefon wieder ein. Für Sekunden herrschte ratloses Schweigen.
»Wenn wir wüssten, wo er am nächsten Tag war …«, grübelte Balke mit Blick ins Unendliche. »In der Nacht zurück nach Berlin geht nicht. Die Frühmaschine geht um … Sekunde …« Wieder kam das Handy zum Einsatz. »… sechs Uhr fünfunddreißig. Um zehn vor acht wäre er wieder in Tegel gewesen.«
»Könnte, wäre, müsste … Bisschen viele Konjunktive, finden Sie nicht auch?«
»Wissen Sie was, Chef?«, sagte Balke nach kurzem Schweigen mit entschlossenem Blick. »Ich bin heute Abend Strohwitwer. Evalina zieht mal wieder mit ihren Kickboxfreundinnen um die Häuser. Ich google zu Hause noch ein wenig rum. Wer weiß, was man noch alles findet, im Web.«
Im Gegensatz zu meinem jagdfiebrigen Mitarbeiter war ich an diesem Abend nicht Strohwitwer. Theresa erwartete mich. Wir hatten einiges nachzuholen, da unser Dienstagstermin dem gemeinsamen Essen zum Opfer gefallen war.
Meine Liebste war anfangs ein wenig verstimmt, als ich fünf
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