Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
Stadt.«
»Manche quatscht er auch einfach auf der Straße an. Wenn er Wahlkampf macht, zum Beispiel. Das bringt der echt. Mir hat er eine Rose in die Hand gedrückt und mir zugezwinkert, und eine Stunde später haben wir schon zusammen Kaffee getrunken. Was war ich stolz, dass so ein toller und berühmter Mann, und so weiter … Er ist ein Doktor, er sieht gut aus, er fährt tolle Autos. Ich kenne wenige, die keinen Kaffee mit dem Carsten trinken würden. Sogar manche, die verheiratet sind.«
Ich drehte meinen Laptop in ihre Richtung. Gröwers Heidelberger Liebesnest lag an der Uferstraße nur etwa hundert Meter von der Wohnung in der Ladenburger Straße entfernt, wo ich mich regelmäßig mit Theresa traf.
»Nimmt er eigentlich hin und wieder Drogen?«, lautete meine nächste, ganz beiläufige Frage, als ich den Laptop wieder zuklappte.
»Sie meinen, so richtig? Nicht nur Alk? Ecstasy. Ziemlich oft sogar. Drum hält er auf den Feten so lange durch. Ohne Dope packt das keiner. Nicht mal Carsten.«
»Wann genau haben Sie sich von ihm getrennt?«
»Ich doch nicht!«, versetzte sie empört. »Er hat sich getrennt. Nach der Katastrophe in Berlin hat er gesagt, er will mich nicht mehr sehen. Hat meine Blumen in die Tonne gestopft, den Sekt in den Kühlschrank getan und gesagt, ich soll mich vom Acker machen. Vor zwei, drei Wochen ist das gewesen. Ein Samstag war’s. Anfang Dezember. Zwei Tage später ist dann die SMS gekommen.«
»Könnte dieser Samstag der dritte Dezember gewesen sein?« Wieder wechselte ich einen Blick mit Balke. Das wäre der Tag nach Leas Verschwinden.
Sie schniefte. »Die ganze Rückfahrt lang hab ich nur geheult. Und mein Sparpreisticket konnt ich auch wegschmeißen. Ein Ticket zum vollen Preis musst ich lösen! Fast zweihundert hab ich dafür bezahlt. Bloß für die Rückfahrt! Und geheult habe ich von Berlin bis Frankfurt.«
»Er ist es nicht wert«, sagte Balke mitfühlend und legte seine Hand auf ihren Unterarm. Sie schnaubte wütend, schüttelte den Kopf, beruhigte sich wieder. Ich hatte keine weiteren Fragen. Balke brachte sie hinaus und kam lange nicht zurück.
22
»Es ergibt einfach kein Bild«, meinte Balke, als er endlich wiederauftauchte und auf den Stuhl fiel, auf dem vor Minuten noch Angelina Ferrini geweint und gezetert hatte. »Wir haben jede Menge Teile, aber es wird kein Puzzle daraus.« Er streckte die Beine von sich, faltete die Hände im Nacken und sah an mir vorbei. »Und nun?«
»Lassen Sie uns Inventur machen.« Ich schob einen karierten DIN-A4-Block zurecht. »Was wissen wir? Lea steigt in Straßburg nicht in den Bus. Den Tag über hat sie ständig telefoniert. Sie hat sich von Henning Dellnitz tausend Euro schenken lassen. Und ihrem Vater siebenhundert geklaut.«
»Am Abend vor ihrem Verschwinden kommt sie blutend nach Hause«, setzte Balke meine Überlegungen fort. »Wahrscheinlich mit einer Schnittverletzung am Hals. Und der Vater hat natürlich keinen Dunst, was seinem Töchterchen zugestoßen sein könnte.«
Über den Mercedesfahrer, dem Lea das viele Geld ausgehändigt hatte und der vielleicht Gröwer hieß, kamen wir zu Hennings Besuch bei mir, seinem Einbruch im Haus von Leas Vater und schließlich zu Leas Laptop.
»Ein Laptop, auf dem er irgendwas findet, was ihn völlig aus der Fassung bringt«, überlegte Balke. »Er wirft das Ding in den Rhein und springt hinterher.«
»Wie könnte Gröwer ins Bild passen? Bei ihm sehe ich immer noch kein Motiv.«
Balke nickte nachdenklich. »Um Geld kann es nicht gegangen sein. Er hat sie gevögelt, das ist für mich klar. Aber das Mädel ist fast achtzehn, er hatte keinen Grund zur Panik. Außerdem hat er schon so viele Weibergeschichten überstanden, mit so was ist der Typ nicht erpressbar.«
»Die Ecstasy-Pillen? Sie hat ihm das Zeug besorgt und ihn später damit erpresst? Wäre schon eher ein Grund für ihn, nervös zu werden.«
»Wieso eigentlich erpresst?«, fragte Balke mit kleinen Augen. »Sie hat doch ihm den Umschlag übergeben und nicht umgekehrt.«
Für Sekunden schwiegen wir. Draußen schien immer noch die Sonne. Einige vorwitzige Vögel machten sich Hoffnungen, der Winter könnte schon vorüber sein.
»Und wenn es andersherum war?«, überlegte ich. »Es war ein ziemliches Hin und Her mit diesem Umschlag, wenn man meinen Zeugen glauben kann.«
»Dann hätte sie so etwas wie eine Kollekte veranstaltet an dem Tag. Sie hat Henning angebettelt und Gröwer erpresst.«
»Und wozu hat sie das Geld
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