Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
Saitenzieher und Instrumentenbauer. Mit einem von ihnen, dessen Großeltern aus Euboia hergekommen waren, erörterte Dymas eine helle Nacht hindurch bei sehr viel Wein die Idealform – Platons Archetypos – einer Kithara. Auch das war nicht es; auch die Lieder und wilden Erzählungen der makedonischen Krieger, abends in den Schänken unterhalb der Akropolis, waren nicht es, so wenig wie die grellroten Hüftschärpen der Dirnen oder die Beinstümpfe des Krüppels, der vor dem Apollontempel seinen Stammplatz hatte und diesen notfalls mit dem Messer verteidigte, und auch nicht das Rätsel der jungen Frau, die jeden Morgen und jeden Abend mit verschleiertem Gesicht auf die Seemauer stieg, den Göttern der Winde und des Meeres ihre Brüste entblößte und dann, wieder verhüllt, zu einer Hütte nordwestlich der Mauern ging.
Einmal loderte etwas in Dymas auf; das war, als Aristippos ihn bat, ihn zu der Stelle zu begleiten, wo die Schinder ihre Abfälle fortwarfen und tote Hunde und Katzen die Würmer und Aasvögel ergötzten. Der Delier trug ein unförmiges Bündel unter dem Arm. Als sie den stinkenden Ort der letzten Scheußlichkeiten erreichten, packte er es aus, hielt den halbverwesten, nur noch aus Fratze und Fetzen bestehenden Kopf seines treulosen Verwalters hoch, betrachtete ihn mit einem seltsamen Glimmen in den Augen und schleuderte ihn wortlos zwischen die Kadaver. Aber was immer dies Lodern gewesen sein mochte, es starb schnell wieder unter der Asche der Gleichgültigkeit.
Dann kam jene Nacht, eine der ersten Frühlingsnächte des neuen Jahrs. Dymas und Aristippos hatten mit einem etruskischen Händler zu Abend gegessen, in einer Schänke am Hafenbecken. Der mit etwa sechzig Menschen vollbesetzte Raum roch nach Körpern und Schweiß, nach den Duftwässern der Dirnen, nach Wein und Essig und Braten und Fisch, nach Kräutern und Öl in den Tischlampen und nach dem Harz der Kienfackeln, die in Eisenfäusten an den Wänden flackerten. Ein trunkener Philosoph – immer wieder unterbrochen durch Dirnen und Männer, die die schmale Treppe benutzten, auf der er stand und schrie – verkündete der Welt, aller Kampf sei unnütz, aller Krieg ein Greuel, nicht einmal die Freiheit oder das Leben jener, die man liebt, einer Verteidigung wert; einzig die Enthaltung von allem finde in den Augen der Götter Gnade. Jemand schrie: »Dann enthalte dich doch des Geschwätzes!« Unter Gejohle wurde der Denker von anderen hinausgeschoben. Ein paar Musiker, auf dem leicht erhöhten Sockel der Treppe, spielten mit Barbiton, Flöten und Trommeln wilde und schwermütige Tänze. Dymas bemerkte irgendwann, daß seine Finger auf der Tischplatte herumtasteten, als lägen dort Saiten, und er bemerkte, daß Aristippos ihn aufmerksam beobachtete, während der Etrusker sich in Wein zu ertränken suchte.
Flötenspieler und Trommler begannen ein neues Stück, etwas leiser; der Barbitonspieler trat einen Schritt vor, strich über die offenen Saiten, schlug eine aufsteigende Reihe schnarrender Einzeltöne – Dymas entsann sich der Metallkuppen, mit denen er saubere Töne ohne schnarrende Geräusche hervorgebracht hatte, damals, lange her – und trug einen Gesang vor, der den Philosophen widerlegen sollte, oder ihm jedenfalls widersprach.
Das ist mein größter Schatz: ein Speer, ein Schwert,
ein runder Schild; und Mut, der mich beschützt.
Ihm dank ich, daß ich sing und pflüg und ernte,
ihm, daß ich Beeren keltern kann und trinken,
ihm, daß ich frei bin zwischen all den Sklaven.
Doch die sich scheuen, Speer und Schwert zu tragen
und runden Schild, die fallen unbeschützt
und mutlos auf die Knie, sobald es donnert,
und preisen mich als ihren guten Nachbarn.
Bei heitrem Himmel nennen sie mich Schlächter.
Es gab lauten Beifall; ein paar Makedonen, die in der Nähe der Tür saßen, trampelten und hämmerten mit den Fäusten auf den Tisch. Einer von ihnen, älter und offenbar zumindest Dekadarch oder sogar ein höherer Offizier, knallte eine Münze auf den Tisch und brüllte nach Wein für die Musiker.
Diese dankten, verbeugten sich und begannen ein weiteres Tanzstück. Plötzlich wurden sie unterbrochen; von oben hörte man einen gellenden Angstschrei, dann Poltern und einen zweiten Schrei, ein Kreischen äußersten Schmerzes. Eine dunkelhäutige Dirne tauchte auf der Treppe auf, verlor den Halt, stürzte herab, zwischen die Musiker, raffte sich auf, drängte sich wimmernd und kreischend, die Arme wie zum Flug ausgebreitet,
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