Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
euch hineingeführt und führe euch auch wieder hinaus.«
Kleitos, mit einem halbherzigen Kichern, sagte plötzlich: »Wenn dieses Papyrosstück so endlos ist, wie es den Anschein hatte, dann muß auch der Rauch, der beim Brand entsteht, unendlich sein. Er wird die ganze Welt ersticken.«
Ehe jemand antworten konnte, bewegte sich der Boden; sie taumelten, hielten einander fest; der schwarze Fleck raste ihnen entgegen. Es war der alte Mann- daimon; er saß auf einem Felsen, aber der Felsen war schwarzes Glas, vielfach gebrochen und glitzernd; schwarzes Licht zuckte heraus. Vor ihnen hielt der Glasfelsen an, oder der Boden bewegte sich nicht mehr zu ihm hin. Der Alte stieg ab, mit steifen Beinen, wandte sich in eine andere Richtung und winkte ihnen. Er tat einen Schritt und war verschwunden, wie durch eine unsichtbare Tür.
Alexander knirschte mit den Zähnen und folgte. Ein einziger Schritt, und sie waren in einem halbdunklen Gang, an dessen Ende das Gerippe eines Löwen eine Treppe hütete. Der Löwe beugte sich über das Gerippe eines Menschen, dessen Schädel er zwischen den Zähnen hielt. Ein Knochensplitter fiel heraus, als sie die Treppe betraten.
In einer langen Spirale stiegen sie aufwärts; sie kamen in eine große, fast völlig dunkle Halle, die aus Spiegeln bestand – Spiegeln, die wisperten und sich verschoben. Im unsicheren Licht sahen sie tausend verschiedene Gestalten, die sich in den Spiegeln bewegten: Alexander kopfunter, Kleitos aufgedunsen zu einer zappelnden Kugel, Ptolemaios mit Stabnase und Krötenbeinen, Hephaistion ohne Bauch – Hals und Beinansatz flossen ineinander –, Drakon eine winzige Qualle, Emes ein zuckender Pfosten. Der Alte – wieso gab es von ihm keinerlei Spiegelbild? – stand in der Mitte der Halle.
Emes hustete und sagte. »Ich hatte Zunder und Feuerstein in der Tasche; vielleicht sind sie trocken geblieben. Da drüben liegt eine verkohlte Fackel.«
Alexander hatte fast den Mann- daimon erreicht; Hephaistion und Ptolemaios waren bei ihm. Ptolemaios streckte die Hand aus und berührte Alexander an der Schulter.
Emes schlug Feuer und entzündete die Fackel. Die tausend Spiegel vervielfachten das Licht; alle waren für Momente geblendet. Je mehr Licht in der Halle leuchtete, desto unsicherer wurden die Umrisse des Alten. Er trat in einen Spiegel; Kleitos stieß einen Fluch aus.
Im Spiegel sahen sie den muskelbepackten, buckligen Flötenspieler mit der Drei-Augen-Maske; einen Moment blickte er sie über die Schulter an, grinste, dann wandte er sich ab und ging, im Spiegel, wurde kleiner, verschwand.
Emes kam, mit der Fackel, stand neben Drakon und Kleitos. Alexander machte einen Schritt, stand in der Mitte der Halle, genau dort, wo eben noch der Mann- daimon gestanden hatte. Dann hörten sie ihn schreien wie in Todesnot – ein furchtbarer, schriller, langer Klagelaut. Sie liefen zu ihm, erreichten ihn, standen neben ihm, konnten ihn berühren, hörten den Schrei immer noch; aber Alexanders Gesicht war ruhig, sein Mund geschlossen. Rings um ihn verzerrten die Spiegel das Bild: gerade, starr, verbogen, entstellt, fett, auf dem Kopf, waagerecht schwebend. Eine Reihe eiförmiger Spiegel zeigte andere Bilder; Ptolemaios faßte sich ans Herz und ächzte.
Er sah, alle sahen, in den Spiegeln Alexander als Säugling an Lanikes Brust, als Knabe, als Jüngling in Mieza, als junger Krieger unter Koinos’ Führung in einem Sumpf, als junger König, als Mann mit Furchen im Gesicht und den Widderhörnern des Gottes Ammon über den Schläfen, als todgeweihten, eingefallenen Mann, als schnell zerfallenden Leichnam. Es war der Leichnam, der diesen gräßlichen Schrei ausstieß.
Hephaistion und Kleitos griffen nach Alexanders Armen. Emes trat zu ihnen, mit der flammenden Fackel, und wie von einem schwarzen Blitz getilgt verschwanden alle Spiegelbilder des Königs. Einen Moment lang zeigten die Spiegel eine Leere, umstanden von Kleitos und Hephaistion, deren Hände ins Nichts gereckt waren, dahinter Drakon und Ptolemaios, ein wenig zur Seite Emes mit der Fackel. Plötzlich verschwand auch Hephaistion aus den Spiegeln, obwohl er und Alexander immer noch leiblich da standen. Kleitos sagte halblaut: »Was, beim Kot aller Götter ...«, aber es war, als würde seine Stimme zu einem fettigen schwarzen Wind, der die Fackel ausblies. Der Boden kippte, sie taumelten, rutschten, krachten in ein paar Spiegel, rutschten immer schneller, schossen durch ein Loch in der steilen Uferwand des Kanals
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